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KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |
Brüssel, den 22.5.2002
KOM (2002) 247 endgültig
MITTEILUNG DER KOMMISSION
EIN PROJEKT FÜR DIE EUROPÄISCHE UNION
INHALTSVERZEICHNIS 1. Ein Projekt, drei
Hauptaufgaben...................................................................................... 5 1.1. Die Union muss ihr Modell der
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung konsolidieren: Wohlstand und
Solidarität...................................................................................................................................... 5 1.2. Die Union muss ihren Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts schaffen.............. 8 1.3. Die Union muss ihre Verantwortung als
globale Kraft wahrnehmen................................. 12 2. Ein Verfassungsvertrag.................................................................................................. 18 2.1. Ziel ist ein Verfassungsvertrag....................................................................................... 19 2.2. Wie soll die Union ihre Zuständigkeiten
ausüben und umsetzen?..................................... 21 2.3. Durchsetzung des Subsidiaritäts- und des
Verhältnismäßigkeitsprinzips........................... 25 EIN PROJEKT FÜR DIE EUROPÄISCHE UNION Das europäische Aufbauwerk hat uns fünfzig Jahre Frieden und Wohlstand
beschert. Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind
die Fundamente dieser Union von Staaten und Völkern. Die Union, die sich auf
diese Gesamtheit von demokratischen Werten gründet, hat eine unbestreitbare
Anziehung, wie die anstehende Erweiterung beweist. Im Dezember 2000 haben die Mitgliedstaaten in Nizza die erforderlichen
Entscheidung getroffen, um die Voraussetzungen für den Beitritt neuer Staaten
zu schaffen. Aber bei dieser Gelegenheit wurde weder über den Sinn der
europäischen Integration noch über das Ausmaß dessen gesprochen, was wir
gemeinsam vorhaben. In der nahen Zukunft könnte sich die Zahl der
Mitgliedsstaaten fast verdoppeln. Dabei geht es darum, auf die europäischen
Nachbarländer die Bedingungen von Frieden, Solidarität und wirtschaftlicher
Entwicklung auszudehnen, von denen wir heute profitieren. Dafür müssen wir sie
in einen geeigneten institutionellen Rahmen aufnehmen, der Schlüssel zum Erfolg
des europäischen Projekts ist. Die Frage, mit der wir daher konfrontiert sind, ist zu ermitteln, wie
die erweiterte Union ihre grundsätzlichen Aufgaben erfüllen kann und wie ihre Entscheidungsfähigkeit und
Kohäsion erhalten werden können, damit die Vertiefung des europäischen Bauwerks
möglich bleibt. Die Bürger sind zwar im allgemeinen für ‚mehr Europa‘, sie wollen die
europäische Integration aber besser verstehen. Die Bürger Europas haben ganz konkrete Vorstellungen, was diese Union
ihnen bringen soll. Wahrung von Frieden und Sicherheit, Bekämpfung von
Arbeitslosigkeit und organisierter Kriminalität, Zurückdrängung der Armut,
Sicherstellung der Chancengleichheit für Frauen, Schutz der Umwelt, Qualität
und Sicherheit von Produkten. Sie erwarten von der Union mehr Sicherheit und
Stabilität im Inneren und mehr Engagement auf internationaler Ebene. Sie wollen
mehr Klarheit, mehr demokratische Kontrolle, sie fordern eine Union, die
nationalen Identitäten respektiert, eine Union, die fördert und schützt, eine
neue Form der Organisation, die nichts mit dem Mythos eines „Superstaats“ zu
tun hat. Mit dem Euro hat die große Mehrheit der Bürger Europas mit Reife und
Überzeugung einen unumkehrbaren Schritt hin auf die europäische Integration
getan. Die Union muss auf die Erwartungen der Bürger
hören, sie muss zeigen, dass sie die Fähigkeit und den Willen hat, auf neue
Herausforderungen zu reagieren. Da die Mitgliedstaaten ohne starke gemeinsame Politiken und vertiefte
europäische Koordination weder ihre Volkswirtschaften konsolidieren noch
Arbeitsplätze schaffen oder ihr soziales Gleichgewicht bewahren können, müssen wir zusammenarbeiten, um die
wirtschaftliche und soziale Zukunft der jungen Generationen zu sichern. Da isolierte Maßnahmen
einzelner Staaten weder vollständige Grenzkontrollen erlauben noch einen
wirksamen Kampf gegen die internationale Kriminalität, ist eine gemeinsame
Antwort auf die Migrationphänomene
notwendig. Da die Zugehörigkeit zur Union Freiheit, Demokratie und Achtung
der Grundwerte bedeutet, müssen wir den europäischen
Raum der Freiheit und des Rechts konsolidieren und weiter entwickeln. Und schließlich der Unionsbürgerschaft zu ihrer
vollen Geltung verhelfen, die nationale Staatsbürgerschaft stärkt, ohne sie
zu verdrängen. Da sich der einzelne Staat nicht mehr ausreichend Gehör verschaffen
kann, muss die Union ihre Verantwortung
als globale Kraft wahrnehmen; sie muss sich mit ihren eigenen Werten als Akteurin der Globalisierung, als
Vertreterin eines solidarischen und nachhaltigen Entwicklungsmodells behaupten;
sie muss eine Außenpolitik betreiben,
die offen ist für den Dialog zwischen Zivilisationen, Kulturen und
Religionen und die auf die Zusammenarbeit mit den benachbarten Ländern und auf
den Willen ausgerichtet ist, Norden und Süden einander anzunähern. Diese Aufgaben sind unsere neuen Herausforderungen. Um hier richtig zu
handeln, müssen wir die bisherigen Erfahrungen berücksichtigen. Und die Gemeinschaftsmethode erneuern, die
es uns ermöglicht hat, in demokratischer Weise Schritt für Schritt die
Integration zu erreichen, um sie an die neuen Erfordernisse anzupassen. Jetzt, da Europa in ihrem Alltag präsent ist,
wollen die Bürger genauer wissen, wer was macht in Europa, wer wofür zuständig
ist und wen sie zur Rechenschaft ziehen können. Sie fühlen sich generell als
Europäer, aber sie möchten, dass ihre Identität respektiert und ihre
Wahlfreiheit erhalten bleiben, wo immer dies notwendig ist. Es gilt, diese Einzigartigkeit zu bewahren,
bei der die Union einerseits möglichst konkrete gemeinsame politische Maßnahmen
trifft und andererseits bestimmte Kernaufgaben der Staaten erfüllt, ohne selbst
ein Staat zu werden. Denn für das europäische Aufbauwerk gibt es kein
existierendes Modell. Seine Einzigartigkeit erklärt und bedingt seinen Erfolg. Angeregt durch die positive Erfahrung mit der
Ausarbeitung der Grundrechtecharta
hat der Europäische Rat einem Konvent
die Aufgabe übertragen, die Grundzüge der künftigen Gestaltung der Union
auszuarbeiten. So hofft die Kommission,
dass nach einem Jahr gemeinsamer Arbeit von Regierungsvertretern, nationalen
und europäischen Abgeordneten und Mitgliedern der Kommission – aus insgesamt
achtundzwanzig europäischen Staaten – und nach einem Jahr des Austausch mit
allen, die sich in Europa an dieser Debatte beteiligen wollen, der Konvent einen echten Verfassungstext
vorlegt, in dem die Bürger Europas sich und ihr gemeinsames Projekt wiedererkennen
können. Ausgehend von diesem Projekt muss dann das institutionelle System
erneuert werden. Folglich möchte die Kommission zur Arbeit des Konvents
zunächst dadurch beitragen, dass sie ihre Vorstellungen über die grundlegenden
Aufgaben der Union und über den konstitutionellen Rahmen niederlegt, mit dem
dieses System weiterentwickelt werden kann. Welches Projekt für Europa? Die Erwartungen der Bürger laufen auf drei Grundsatzfragen hinaus: Wie
können wir ein solidarisches und nachhaltiges Entwicklungsmodell durchsetzen
und – mit der einheitlichen Währung als Kernstück – einen organisierten und
glaubwürdigen Wirtschafts- und Sozialraum aufbauen? Wie können wir einen echten
europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts schaffen? Wie
lässt sich die Wirksamkeit der europäischen Außenpolitik in wirtschaftlicher,
politischer und militärischer Hinsicht, bei Finanzhilfen und Entwicklungshilfe
sichern? Einführung des Euro, Vertiefung des
Binnenmarktes, Koordinierung der Wirtschaftspolitik, Angleichung der Steuer-
und Sozialpolitik, Solidarität zwischen Ländern und Regionen in Europa, Realisierung
einer ehrgeizigen Umweltpolitik und Bekräftigung eines europäischen
Gesellschaftsmodells sind Entwicklungen, die einem allgemeinen Wunsch der
Bürger entsprechen und die notwendig sind für die Ausgewogenheit des
europäischen Projekts. Die Union muß ein Projekt vertiefen, in dem sich die
Bürger wiederfinden und das ihnen Wohlstand und Solidarität sowie die Wahrung
einer gewissen Lebensqualität bringt. Letztere hängt ab von dem Erhalt der
Umwelt, der Existenz von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge von
Qualität, die für alle zugänglich sind, sowie einem hohen Niveau sozialen
Schutzniveau. Um dieses Gleichgewicht und die Akzeptanz des
europäischen Projekts durch die Bürger zu erhalten, muss die Union ihre Integration konsolidieren und weiter vorantreiben. Weiterentwicklung und Erneuerung der gemeinsamen
Politiken Die
gemeinsamen Politiken bilden das Fundament der europäischen Integration. Sie bereiten das Europa von morgen für die künftigen Generationen vor.
Sie sind wesentlich, um das wirtschaftliche und soziale Modernisierungsprogramm
umzusetzen, das die Europäische Union im Frühjahr 2000 beim Europäischen Rat in
Lissabon beschlossen hat. Sie verstärken die Kohärenz des Wirtschafts- und
Sozialraumes, den der Euro benötigt. Der gemeinsame
Binnenmarkt, das erste erfolgreiche europäische Großprojekt, muss erhalten
bleiben. Er bietet den Bürgern Wohlstand, Wachstum, Arbeitsplatzschaffung und
mehr Freizügigkeit. Er hilft den Unternehmen in Europa, wettbewerbsfähiger zu
werden. Mit der Erweiterung muss die Verwaltung des Binnenmarktes im Zentrum
der Aufgaben der Union bleiben, vorangetrieben von der Kommission, die die
erforderlichen Regeln ausarbeiten muss, um das Gesamtinteresse zu wahren und
die Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu sichern. Der Gerichtshof wacht in
letzter Instanz über die gesamte Rechtsordnung. Die gemeinsamen Politiken müssen in zwei
Bereichen vertieft werden: die
Entwicklung einer Wohlstandswirtschaft auf der Grundlage eines starken und
dauerhaften Wachstums und die Bekräftigung der erforderlichen Solidarität für
eine Gesellschaft und einen europäischen Raum ohne Ausgrenzung. Hier ist beispielsweise die Umweltpolitik zu nennen, die den
Mitgliedstaaten hilft, das gemeinsame Erbe künftiger Generationen gemeinsam zu
verwalten, und im Westen wie im Osten Europas das Streben nach einer
dauerhaften Entwicklung. Eine Politik, die die Wettbewerbsfähigkeit der
europäischen Wirtschaft und der europäischen Unternehmen, die Bildung, die Forschung und die Innovation
fördert. Die Politik für die
Landwirtschaft, die eine Wirtschaftskraft bleiben, gleichzeitig aber zur
ausgewogenen Entwicklung der europäischen Landschaft beitragen muss. Der wirtschaftliche und soziale
Zusammenhalt, der den Mitgliedstaaten und den Regionen die notwendigen
Mittel bietet, sich an den Konkurrenzdruck des Binnenmarktes anzupassen, und
ihr Wachstum und ihre echte Konvergenz sicherstellt. Die Energie- und Verkehrspolitik, Vektor der Europäischen Integration.
Die Steuer- und Sozialpolitik, denn
in einem gemeinsamen Binnenmarkt müssen die Wirtschaftsakteure unter gleichen
Bedingungen operieren können. Der steuerliche Aspekt lässt sich nicht mehr
ignorieren. Ebenso wenig die Notwendigkeit, auf europäischer Ebene einen
sozialen Besitzstand zu schaffen, der vereinbar ist mit der Art und Weise, wie
die Demokratien in den Ländern Europas allgemein funktionieren – einen
Besitzstand auf der Grundlage von Solidarität, Dialog und wirtschaftlichem und
sozialem Fortschritt. Ohne einen solchen Besitzstand werden sich die
Anpassungen zum Schaden genau dieses europäischen Sozialmodells und der in den
europäischen Demokratien anerkannten Werte vollziehen. Erneuerung der Arbeitsmethoden Die Europäische Gemeinschaft hat ihre
Solidarität auf gemeinsamen Politiken gegründet. Die erweiterte Union mit ihren neuen Mitgliedstaaten wird starke gemeinsame Politiken brauchen
– für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten und
für die wesentlichen Vorteile, die die Union insgesamt daraus für ihren
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt ziehen kann. Diese
Politiken müssen erneuert und an den neuen Kontext der
erweiterten Union angepasst werden. Das Konzept muss sich auf den Gedanken des
Mehrwertes von Gemeinschaftsmaßnahmen konzentrieren. Bei Entscheidungen des
Rates muss die qualifizierte Mehrheit
zur einzigen Verfahrensregel werden. So ist es nicht mehr vorstellbar, dass
für die steuerliche und soziale Dimension des Binnenmarktes die Einstimmigkeit
gelten soll, und dies noch weniger, wenn man an die Erweiterung denkt mit der
bei wachsender Zahl der Mitgliedstaaten zunehmenden Gefahr, dass Entscheidungen
blockiert werden. Die Umsetzung
der gemeinsamen Politik muss so dezentralisiert
wie möglich ablaufen. Die Kommission hat bereits die Initiative ergriffen und
einige wichtige Schritte in diese Richtung vorgeschlagen, wie etwa die
Einrichtung eines gemeinsamen Netzes der nationalen Wettbewerbsbehörden und der
Kommission zur Bekämpfung von Absprachen und missbräuchlicher Ausnutzung einer
marktbeherrschender Stellung. Sie untersucht derzeit die Möglichkeiten, die
Verwaltung der Strukturfonds stark zu vereinfachen. Hier muss der Konvent die
Bedingungen einer Aufgabenteilung bei der Ausführung des Haushalts untersuchen,
wenn die Mitgliedstaaten die Verwaltung der Mittel weitgehend übernehmen. Darüber hinaus spricht das Weißbuch
„Europäisches Regieren“ bestimmte Leitlinien für eine bessere Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit lokaler Gegebenheiten
an – wie auch das Interesse der Kommission an lokalen und regionalen
Experimenten der Politikgestaltung oder auch an paritätischen Vereinbarungen,
die zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Regionen oder lokalen
Gebietskörperschaften im Hinblick auf die Anwendung bestimmter
Gemeinschaftsvorschriften, natürlich unter Berücksichtigung der
Verfassungssysteme der Mitgliedstaaten, geschlossen werden könnten. Verstärkte
Koordination der Wirtschaftspolitik Der Euro, als großer Erfolg anerkannt, hat dazu beigetragen, die
Inflation in den Griff zu bekommen, die langfristigen Zinssätze zu senken, die
Haushaltslage der Mitgliedstaaten zu verbessern und eine wachstums- und
beschäftigungsfördernde Wirtschaftspolitik einzuführen. Die Union muss die Fähigkeit besitzen, auf diesem Besitzstand
aufzubauen und dabei die soziale Dimension und die Dauerhaftigkeit der
wirtschaftlichen Entwicklung umfassend zu berücksichtigen. Die Währungspolitik liegt in der alleinigen
Verantwortung der Europäischen Zentralbank. Wirtschafts- und Haushaltspolitik
ist Sache der Mitgliedstaaten. In einer gemeinsamen Wirtschafts- und
Währungszone wirken sich individuelle Haushaltsabweichungen und mangelnde
Kontrolle der nationalen Inflationsraten auf alle aus, sie müssen von allen
Staaten getragen werden, die die gemeinsame Währung nutzen. Dementsprechend ist eine verstärkte Koordination
erforderlich, damit die europäische Wirtschaft so gesteuert werden kann, dass
das doppelte Ziel von einerseits makroökonomischer Stabilität und andererseits
starkem Wachstum und Beschäftigung erreicht werden kann. Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik muss
es ermöglichen, die Wirtschaftssituation gemeinsam zu bewerten, sich auf die
einzuschlagende Richtung zu einigen und die entsprechende Umsetzung zu
überwachen. Und dies auf kontinuierlicher Basis, nicht nur in
Ausnahmesituationen. Sie sollte so auch sicherstellen, daß die
Strukturpolitiken dazu beitragen, die Wachstums- und Beschäftigungsziele zu
erreichen. Die Wirtschafts- und
Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten muss einen gemeinschaftlichen Rahmen
wahren, der durch den Vertrag und spezifische Rechtsvorschriften definiert ist.
Zwei Instrumente sorgen heute für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik, die
Grundzüge der Wirtschaftspolitik und
der Stabilitäts- und Wachstumspakt,
die ihre Aufgabe in den ersten Jahren der Wirtschafts- und Währungsunion
zufriedenstellend erfüllt haben. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Koordinierung noch verbessert werden
kann. Und die kommende Erweiterung wird die Parameter
für das Funktionieren der Instrumente zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik
radikal verändern. Angesichts der Zahl der neuen Mitglieder und ihrer
unterschiedlichen Wirtschaftslage muss die erweiterte
Union sich diesen neuen Gegebenheiten mit gestärkten Fähigkeiten stellen können.
Für bestimmte Anpassungen reicht eine Überprüfung der Arbeitsmethoden aus,
andere setzen eine Änderung der Verträge voraus. Nach dem Wortlaut des
Vertrags gehört die Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu den Aufgaben der
gemeinsamen Politik. Wie auch bei der gemeinsam betriebenen Politik in anderen
Bereichen ist es wichtig, im Zentrum des Systems eine Instanz zu haben, die das
allgemeine Interesse vertritt, die Kohärenz der Maßnahmen der Mitgliedstaaten
sichert und über die Mittel verfügt, eine globale Sicht durchzusetzen sowie die
Glaubwürdigkeit und Einheitlichkeit des Systems zu fördern angesichts von
Risiken, die für die Eurozone als Ganzes bestehen. Diese Aufgabe kommt
natürlicherweise der Kommission zu, deren Rolle gestärkt werden muß. So müssten die Instrumente zur Koordinierung
der Wirtschaftspolitik, insbesondere die Grundzüge der Wirtschaftspolitik
und die Stellungnahmen zu den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen, auf der Grundlage von
Kommissionsvorschlägen erarbeitet werden, anstelle einfacher Empfehlungen,
von denen der Rat mit einfacher Mehrheit abweichen kann. Wenn die
Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates von den vereinbarten Grundzügen
abweicht oder das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und
Währungsunion in Frage stellt, darf die Rolle der Kommission nicht auf
Empfehlungen an die Adresse des Rates beschränkt bleiben. In einer solchen
Situation muss die Kommission in dem vom
Vertrag vorgesehenen Rahmen effizient handeln können: durch Warnungen
unmittelbar an die Adresse des betroffenen Mitgliedstaats und durch Vorschläge,
von denen der Rat nur mit einstimmiger Entscheidung abweichen kann. Auch die Arbeitsweise
der Eurogruppe muss angepasst werden.
Die Bedeutung einer solchen Instanz, die den Mitgliedstaaten der Eurozone
vorbehalten bleibt, braucht wohl nicht unterstrichen zu werden. Es wäre aber
sinnvoll, auch eine formelle Entscheidungsinstanz für die Eurozone zu haben,
die den daran beteiligten Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt, in Form eines
Rates „Ecofin-Eurozone“. Damit wäre es den Institutionen möglich, ihrer Rolle
umfassend gerecht zu werden, von der Prüfung von Vorschlägen bis zur
schlussendlichen Entscheidung. Das demokratische Gleichgewicht des Systems
müsste untersucht werden. Natürlich ist es Sache jeder Regierung, die
angemessenen Beziehungen zum jeweiligen nationalen
Parlament festzulegen. Auf europäischer Ebene hat das Europäische Parlament
derzeit keine formelle Rolle bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Die
Stärkung der Instrumente zur Wirtschaftskoordinierung muss einhergehen mit
einer besseren Einbeziehung des Europäischen
Parlaments, die festzulegen sind nach den in Erwägung gezogenen
Instrumenten und unter Beachtung der Tatsache, dass die Wirtschaftspolitik
nicht in den legislativen Bereich gehört. In gleicher Weise ist die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen
Parlament und den nationalen Parlamenten zu verstärken. Und schließlich
muss eine einheitliche Außenvertretung
der Eurozone in den internationalen Wirtschafts- und Finanzgremien
gewährleistet sein. Damit die Europäische Union bei den internationalen Währungs-
und Finanzdebatten kohärent, stark und vor allem auf einer stabilen Linie
agieren kann, wäre zu gegebener Zeit die Vertretung durch die Kommission, in
enger Abstimmung mit allen Instanzen, von großem Vorteil für die Eurozone. So schlägt die Kommission vor: -
die Entwicklung der gemeinsamen Politik
weiter voranzutreiben; -
die gemeinsame Politik zu erneuern,
ihre Umsetzung zu dezentralisieren und schließlich genereller die
Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit einzuführen; -
die Koordinierung der Wirtschaftspolitik
zu verstärken und eine einheitliche Außenvertretung der Eurozone zu sichern. Seit
dem Vertrag von Amsterdam gehört die Schaffung eines kohärenten und ausgewogenen
Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu den Zielen der Union und
erscheint als eine ihrer wesentlichen Aufgaben, heute wie auch im Hinblick auf
die Erweiterung. Dieses Ziel, das die Verwirklichung eines integrierten
Wirtschaftsraums ohne Grenzen ergänzt, trägt dazu bei, dem Begriff der Unionsbürgerschaft einen umfassenden
Sinn zu verleihen. Dieses heute als im wesentlichen politisch angesehene
Konzept muss in rechtlicher Hinsicht konkreter werden, verknüpft mit einem
Korpus von Rechten und Pflichten, die klar erkennbar und juristisch wirksam
sind. Die Aufgaben der Europäischen
Union Freiheit,
Sicherheit und Recht stellen für das europäische Aufbauwerk wesentliche und
komplementäre Elemente dar. Die
Freiheit ist das einigende Prinzip, sie bildet das Fundament des europäischen
Aufbauwerks. Aber ohne Sicherheit, ohne von den Bürgern anerkanntes
Rechtssystem sind die Ausübung der Freiheit und der Respekt der demokratischen
Werte nicht gewährleistet. Der europäische Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts schafft somit die
Garantien für die Achtung der Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten.
Entscheidend für die Unionsbürgerschaft ist die gemeinsame Anerkennung dieser
Grundsätze, die in der Charta der Grundrechte enthalten sind und das Fundament
der Integration für alle bilden, die in der Union leben. Das
gemeinsame Handeln entspricht hier einer entschiedenen
Forderung der Öffentlichkeit und einem deutlichen
Bedarf angesichts des grenzübergreifenden Charakters krimineller
Aktivitäten und der Tatsache, dass die Behandlung dieser Themen innerhalb eines
Raums der Freizügigkeit zum gemeinsamen Interesse gehört. Die Abschaffung
wirtschaftlicher Grenzen und die Freizügigkeit gehen einher mit Rechten und
Garantien und sind unvereinbar mit der Aufrechterhaltung von Polizei- und
Justizgrenzen, die die Urheber illegaler Tätigkeiten schützen. Die
Außendimension dieses Handelns hat besondere Bedeutung, da sie die engen und
privilegierten Beziehungen ergänzt, die die Union mit ihren Nachbarländern aufzubauen
beabsichtigt. Die
Union kann in vier Bereichen einen wesentlichen Beitrag leisten: ·
Im gemeinsamen Handeln muss die Schaffung
gemeinsamer Maßnahmen zur Kontrolle und
Überwachung der Außengrenzen ermöglicht werden, nach Regeln gemeinsamer
Verwaltung, mit Mechanismen finanzieller Solidarität, gemeinsamen
Kontrollnormen und Regelungen für Kooperation, Informationsaustausch,
Ausbildung und Bewertung. Die Langzeitperspektive müsste ein gemeinsames
europäisches Korps für die Kontrolle der Außengrenzen sein, das in enger
Zusammenarbeit mit den nationalen Diensten eine einheitliche Überwachung der
Außengrenzen gewährleisten müsste. ·
Die Realisierung einer echten gemeinsamen Einwanderungs- und Asylpolitik
gehört ebenfalls zu den grundlegenden Zielen der Union. Die gemeinsame
Bewältigung der Migrationströme ist zweifellos unerlässlich. Es geht also
darum, eine wirksame Koordinierung der Integrationspolitik sicherzustellen und
das hohe Schutzniveau für Flüchtlinge zu wahren, das die Europäische Union zu
einem Vorbild für das internationale System des Flüchtlingsschutzes macht. Eine
Form der Harmonisierung von Rechtsvorschriften ist erforderlich, um die
gemeinsamen Ziele zu erreichen, insbesondere wenn es darum geht, europäische
Asylregeln und ein einheitliches Statut für Einwanderer innerhalb des
europäischen Raums zu definieren. ·
Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Terrorismus ist effizientes Handeln
nur möglich auf europäischer Ebene, vor allem durch die Schaffung eines
gemeinsamen Rahmens für die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit
zwischen den Staaten bei Ermittlungen und Strafverfolgung. Für
diese drei Bereiche – Kontrolle der Grenzen, Asyl und Einwanderung, Bekämpfung
von organisiertem Verbrechen und Terrorismus – geht es also darum, eine europäische öffentliche Ordnung zu
etablieren, die die nationalen Systeme der öffentlichen Ordnung effizienter
macht und die Grundwerte der Union umfassend respektiert. Dies ist eine der
Forderungen, die auch im Konzept einer Unionsbürgerschaft enthalten ist. ·
Das Handeln der Union erscheint ebenfalls
notwendig, wenn es darum geht, einen echten europäischen Raum der Justiz zu
schaffen, mit Zusammenarbeit im Zivil-
und Strafrecht, für die in Zukunft ein entsprechender institutioneller und rechtlicher Rahmen zu schaffen ist. In diesem
Zusammenhang ist die Notwendigkeit zu betonen, die derzeitigen
Vertragsbestimmungen zum Schutz der
finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu ergänzen durch eine
Rechtsgrundlage, die das Amt eines europäischen Staatsanwalts schafft und
Regeln zur Strafverfolgung grenzübergreifenden Betrugs ermöglicht. Die Instrumente für ein
effizienteres und besser koordiniertes gemeinsames Handeln Dort,
wo die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung nicht mehr allein gerecht werden
können, muss gemeinsames Handeln einsetzen. Damit dieses glaubwürdig sein kann,
müssen die derzeitigen Instrumente und
Entscheidungsmechanismen der Union verbessert werden, durch Ausdehnung der
im Vertrag von Amsterdam vorgesehenen Entwicklung in Richtung einer schrittweisen
Vergemeinschaftung. Um die
gemeinsamen Ziele zu erreichen, muss man sich gleichzeitig auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Union stützen,
jede Ebene muss ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Verschiedene
Instrumente sind zu mobilisieren: Harmonisierung und Angleichung von
Rechtsvorschriften, gegenseitige Anerkennung, Koordination der Politik der
Einzelstaaten, Mechanismen für Informationsaustausch oder Kooperationsorgane,
finanzielle Unterstützung vor allem für Ausbildungs- und Austauschmaßnahmen und
für die Ausarbeitung von Pilotprojekten. Wenn es um die Verabschiedung von Rechtsvorschriften
geht, muss die Gemeinschaftsmethode voll und ganz
angewandt werden, also mit alleinigem Initiativrecht,
Mitentscheidungsverfahren, qualifizierter Mehrheit und Überwachung durch den
Gerichtshof. Wie die Erfahrung zeigt, schaden die Aufsplitterung des
Initiativrechts und die Einstimmigkeit der Kohärenz, der Effizienz und der
Qualität der Entscheidungen. Aber es wird nicht in jedem Fall notwendig
sein, Rechtsvorschriften zu erlassen. Die nicht zwingende Konzertierung,
die durch die offene Methode der
Koordination gegeben ist, kann
ihren Sinn haben. Unerlässliche Voraussetzung für die Schaffung eines
Rechtsraums ohne Grenzen ist, dass jedes nationale System den Justizorganen
eines anderen Mitgliedstaates vertrauen kann. Ohne eine Harmonisierung
auszuschließen, die aus offensichtlichen Gründen der Effizienz notwendig sein
kann, sollte jedoch bei der Zusammenarbeit im Zivil- und Strafrecht das Prinzip
der gegenseitigen Anerkennung Vorrang
haben. Der
wünschenswerte Grad der Harmonisierung
im Zivilrecht ist abhängig von der grenzübergreifenden Natur bestimmter
Operationen und von der Notwendigkeit, das ordnungsgemäße Funktionieren des
Binnenmarktes zu gewährleisten. Die inhaltliche
Harmonisierung des Strafrechts wiederum sollte beschränkt bleiben auf bestimmte besonders schwerwiegende Vergehen
oder solche grenzübergreifenden Charakters. Sie muss einhergehen mit einer
gemeinsamen Definition von Verfahrensgarantien, insbesondere hinsichtlich der
wesentlichen Elemente eines fairen Prozesses. Bei der
polizeilichen Zusammenarbeit reicht
für die Erreichung der meisten Ziele die administrative Zusammenarbeit der
Polizeibehörden der Mitgliedstaaten aus. Die Beteiligung der Union müsste im
Vertragsrahmen begrenzt werden auf die Festlegung von Bedingungen für
Mechanismen zum Informationsaustausch und zur wirksamen Kooperation zwischen
nationalen Behörden. EUROPOL muss ebenso wie EUROJUST operationell werden, um
effiziente und koordinierte polizeiliche und gerichtliche Ermittlungen im
europäischen Rahmen zu gewährleisten. Auch die Frage einer demokratische und
gerichtlichen Kontrolle von EUROPOL ist zu klären. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, ausgehend von der umfassenden
Liste der aktuell vorgesehenen Maßnahmen und Verfahren, der Vertrag die prioritären Ziele der Union definieren und erläutern
muss; er muss diejenigen nennen, auf
die die wechselseitige Anerkennung anwendbar ist, und diejenigen, für die eine
Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften notwendig ist, und er muss die
Verfahren zur Gewährleistung eines effizienten und raschen
Entscheidungsprozesses festlegen. Damit wird es möglich, die Grenzen der
normativen Arbeit der Union zu bestimmen. So
schlägt die Kommission vor: -
Den rechtlichen Gehalt der
Unionsbürgerschaft konkret zu definieren; -
Das gemeinsame Handeln insbesondere in
folgenden Bereichen zu verstärken: Kontrolle und Überwachung der
Außengrenzen; Definition allgemeiner Bestimmungen des Asylrechts und des
Einwandererstatus; Bekämpfung von organisiertem Verbrechen und Terrorismus,
bei wirksamer Koordinierung der Tätigkeit von EUROJUST und EUROPOL; zivil-
und strafrechtliche Zusammenarbeit, wo dies durch grenzübergreifende
Aktivitäten gerechtfertigt ist; -
Durch die Schaffung eines unabhängigen
europäischen Staatsanwalts die Bestimmungen des Vertrages über den Schutz der
finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu ergänzen; -
im Vertrag die prioritären Ziele der
Union besser zu definieren, in dem Wunsch, das Konzept der Unionsbürgerschaft
zu entwickeln und die Wahrung der Grundrechte und –freiheiten zu
gewährleisten, die in der Grundrechtecharta
der Union anerkannt sind; -
die Instrumente zu identifizieren, die
für eine Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele zu mobilisieren sind, wobei
auch der notwendige Grad der Harmonisierung von Rechtsvorschriften zu
bestimmen ist und effiziente und rasche Entscheidungsverfahren festzulegen
sind. Die Union hat einen immer stärker zusammenwachsenden Markt geschaffen,
der ihr echte wirtschaftliche Stärke verleiht. Mit der Wirtschafts- und
Währungsunion und der einheitlichen europäischen Währung hat die Union sich die
Fähigkeit erworben, auf die internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen
Einfluss zu nehmen. Die Stärke Europas ist unbestreitbar. Jetzt kommt es darauf an, ihr
eine Richtung zu geben und aus diesem Potenzial eine echte Kraft werden zu
lassen. Dies kann nicht geschehen ohne einen festen politischen Willen und ohne
eine offene Diskussion über Strukturen, Instrumente und Verfahren im
Entscheidungsprozess. Die
Aufgaben der Europäischen Union Auf der Grundlage der historischen Versöhnung
zwischen den Nationen und Völkern Europas hat das europäische Aufbauwerk Frieden und Stabilität im Westen
Europas gefestigt. Und heute exportiert die Union diese Stabilität. Die
Erweiterung ist sicherlich die greifbarste politische Operation der Union in
den nächsten Jahren, die wichtigste für die Sicherheit des Kontinents. Die
unmittelbare Nachbarschaft der Union im Süden und Osten stellt in der Tat den
idealen Raum für eine gemeinsame Außenpolitik dar, über das hinausgehend, was
die transatlantischen Beziehungen und die Partnerschaft mit den Ländern Asiens,
der Karibik und des Pazifikraums seit langem für die Union sind. Um stärker zu werden, muss die Außenpolitik
der Union über Entscheidungsbefugnisse
in Sicherheits- und Verteidigungsfragen verfügen, in einem Moment, in dem –
nach dem Ende des kalten Krieges – die Entsendung von Truppen an Schauplätze
außerhalb des eigenen Gebiets – im Dienste des Friedens – ebenso wichtig wird
wie das Konzept der gemeinsamen Verteidigung selbst. Diese Entwicklung betrifft
natürlich nicht die spezifische Position einiger Mitgliedsstaaten zu Aktionen,
die Auswirkungen im Bereich der Verteidigung hätten. Die Europäische Union hat im Hinblick auf die Globalisierung eine besondere Rolle zu
spielen. Während zahlreiche Akteure in Europa uneingeschränkt von der
Globalisierung profitieren, kommt Beunruhigung auf angesichts eines Phänomens,
das als unzureichend kontrolliert angesehen wird, wo die Entscheidungen mancher
Länder oder Wirtschaftsakteure Auswirkungen haben, die anscheinend niemand mehr
kontrollieren kann. Dieser Eindruck bleibt nicht ohne Folgen für die Funktion
der Demokratie und die Legitimität der Behörden. Für die Bürger geht es darum,
ihren Einfluss und ihre demokratische Kontrollgewalt zu bewahren oder
wiederzugewinnen. Und oft auch darum, Spielregeln zu definieren, um das zu bewahren,
was der globalisierte Markt nicht optimal regeln kann – soziale und ökologische
Ziele, die Vielfalt der Kulturen und der Lebensweisen. Nach der Erweiterung wird die Union die erste
Wirtschaftsmacht der Welt sein. Sie wird noch mehr Gewicht in der weltweiten
wirtschaftlichen Governance haben, wodurch sie gezwungen sein wird, die
Interessen der übrigen Welt noch stärker als heute in ihren
wirtschaftspolitischen Entscheidungen mit zu berücksichtigen. Die Union wird in der Lage sein, sich
entschiedener und wirksamer zu Gunsten der nachhaltigen Entwicklung einzusetzen
und bestimmten neuen Risiken gegenzusteuern, die zumeist mit den schweren
wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten zusammenhängen, wie sie in der
Welt heute noch bestehen oder sich sogar verschärfen: strukturelle
Handelsdefizite und übermäßige Verschuldung von großen Industriestaaten und
Entwicklungsländern, finanzielle Instabilität, innenpolitische Unruhen und
regionale Konflikte, die Flüchtlingsströme verursachen und nicht ohne Folgen für
die Entwicklung von Terrorismus, Schiebereien und illegaler Einwanderung sind,
Umweltzerstörungen globalen und lokalen Ausmaßes. Die Union muss auf die fernen
und nahen Ursachen dieser neuen Bedrohungen einwirken, die ihre Sicherheit und
ihren Wohlstand belasten. Die Union muss sich also für eine Strategie der
nachhaltigen Entwicklung einsetzen, die auf einer multilateralen und
multipolaren Organisation der Weltwirtschaft aufbaut und jeglichem hegemonialem
oder unilateralem Konzept entgegensteht. In vielerlei Hinsicht ist es durch die Europäische Union, durch die Abstimmung und
Einigung des politischen Willens, dass
die Europäer ihr Gesellschaftsmodell verteidigen und ihre demokratischen Rechte
besser und umfassender ausüben können. Es ist Europa, ein globaler Akteur
ersten Ranges, der besser als andere zur Governance und Stabilisierung des
internationalen Systems beitragen kann. In der Außenpolitik muss noch die Effizienz
gefunden werden, wie sie in der gemeinsamen Handelspolitik erworben wurde. In
den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte gemacht, mit dem oft
entschiedenen Handeln des Hohen Vertreters der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik im Zentrum. Dies gilt beispielsweise für das gemeinsame
Vorgehen auf dem Balkan und für die Entwicklung der europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik. Aber ein bedeutendes Potenzial ist nach wie vor
ungenutzt, das es der Union ermöglichen würde, sich auf internationaler Ebene
zu behaupten. Die Außenpolitik braucht deutlichere außenpolitische Leitlinien,
um kohärenter zu werden, sie muss alle Instrumente nutzen, die der Union und
den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Zu einer effizienteren, einer
kohärenteren Außenpolitik Die Außenpolitik der Union lässt sich nicht
leicht untergliedern. Sie geht über die traditionellen diplomatischen und
militärischen Aspekte hinaus und reicht hinein in Bereiche wie Justiz und
Polizei, Umwelt, Handel und Zollangelegenheiten, Ausbau und Außenvertretung der
Eurozone. Ziel muss es sein, diese verschiedenen Bereiche zu integrieren und
ein effizientes Zusammenwirken der verfügbaren Kräfte zu gewährleisten. Es geht
also weder darum, die Außenpolitik durch Anwendung der klassischen
Gemeinschaftsverfahren zu ‚vergemeinschaften‘, was mit dem Auftreten einer
militärischen Dimension Europas nicht kompatibel wäre, noch darum, die
Außenpolitik stärker an die Regierungsebene zu binden, indem die Befugnisse der
Mitgliedstaaten oder des Hohen Vertreters auf Kosten der Kommission ausgedehnt
werden. Tatsächlich würde es eine vollständige
Vergemeinschaftung nicht ermöglichen, die gesamte politische Dimension des
Handelns nach außen zu erfassen, die sich nicht auf eine Reihe von Befugnissen,
Instrumenten und Aktionsbereichen beschränkt, und außerdem könnte so der
militärische Bereich nicht abgedeckt werden. Umgekehrt, wollte man das gegenwärtige
Gleichgewicht beibehalten oder noch betonen, würde man die Aufsplitterung der
Impuls-, Entscheidungs- und Aktionszentren auf Dauer festschreiben. Es ist aber von größter Bedeutung, dass in realistischer
Weise auf eine doppelte Kohärenz- und Effizienzanforderung reagiert wird: –
Kohärenz: es muss ein Gravitationszentrum gegeben sein, von dem die
politische Initiative ausgeht und das das gemeinsame Interesse feststellt und
vertritt; –
Effizienz: die Verfahren müssen an das Wesen der Außenpolitik und
insbesondere an den speziellen Charakter des militärischen Instruments
angepasst werden. ·
Alleiniges Initiativrecht und Kohärenz
des Handelns Eines der Merkmale der Gemeinschaftsmethode
ist die ausschließlich der Kommission vorbehaltene Initiativkompetenz bei
Rechtsakten. Damit ist gewährleistet, dass die von der Kommission völlig
unabhängig dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegten Vorschläge das
Gesamtinteresse der EU statt nationaler oder anderweitiger Einzelinteressen
repräsentieren. Auch in der Außenpolitik ist das alleinige Initiativrecht und die
Kohärenz des Handelns von großer Bedeutung. Heute existieren nebeneinander zwei
Gravitationszentren. Das eine, geprägt durch die Zusammenarbeit der Regierungen,
ist beim Hohen Vertreter angesiedelt als erster Ausdruck des gemeinsamen
Willens der Mitgliedstaaten, wodurch eine gemeinsame Kultur entwickelt und das
gegenseitige Vertrauen gefördert werden konnte. Das andere beruht auf der
Gemeinschaftsmethode und weist die erforderlichen Merkmale auf, um auf Dauer
das Gesamtinteresse der Union zu definieren, vom Stadium der Analyse und der
Initiative an bis zur Mobilisierung der gemeinsamen Ressourcen und Instrumente. Diese Aufteilung ist eine Quelle der Ineffizienz
und muss überwunden werden, damit ein einziges Gravitationszentrum auf
strukturierte Weise und auf Dauer angelegt das Gesamtinteresse berücksichtigen
kann. Es muss eine unparteiische, dauerhafte und mit entsprechendem Fachwissen
ausgestattete Instanz die Herausforderungen bewerten, die Abstimmung von Zielen
und Mitteln prüfen und Vorschläge für konkrete Maßnahmen vorlegen. Alle
Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission haben heute das Vorschlagsrecht
– mit der daraus resultierenden Verwirrung und dem Risiko, dass die gemeinsamen
Interessen bei der Ausarbeitung von Initiativen nicht umfassend berücksichtigt
werden. Es wäre also angebracht, das
Gravitationszentrum der politischen Initiative und der Abstimmung der
verschiedenen Aktionen innerhalb der Kommission anzusiedeln. ·
Repräsentation und Handlungsmöglichkeiten Will man das alleinige Initiativrecht und die
Kohärenz sicherstellen, ohne die Besonderheiten der Außen- und
Sicherheitspolitik außer Acht zulassen, dann muss ein Mittelweg zwischen dem Status Quo und der Vergemeinschaftung
beschritten werden. Diese Vorgehensweise beruht auf zwei Elementen. Erstens muss die politische Initiativkompetenz
in Übereinstimmung gebracht werden mit der Kompetenz der Europäischen
Kommission, die Instrumente außenpolitischer Maßnahmen zu gestalten und zu
mobilisieren. Im Interesse der Glaubwürdigkeit und Kohärenz der Außenpolitik
ist es nicht vorstellbar, dass der Hohe Vertreter Vorschläge präsentiert, ohne
gleichzeitig die Mittel zu ihrer Umsetzung zu nennen. Es ist vor allem auch
nicht vorstellbar, dass eine Instanz außerhalb der Kommission nach eigenem
Gutdünken über die Mittel und Instrumente verfügen kann, für deren Verwaltung
die Kommission zuständig und in politischer und haushaltstechnischer Hinsicht
verantwortlich ist. Um effizient und praktikabel zu sein, setzt
diese Vorgehensweise zweitens die schrittweise
Fusion der Aufgaben des Hohen Vertreters
und des Kommissionsmitglieds für Außenbeziehungen voraus. Als Mitglied der
Kommission würde der Hohe Vertreter über eine doppelte Legitimität verfügen,
durch die Einigung der Mitgliedstaaten einerseits und die Bestätigung des
Kollegiums durch das Europäische Parlament andererseits. Mit der Zuständigkeit
für die Aushandlung von Vereinbarungen mit Drittländern, der Kompetenz zur
Mobilisierung verschiedener Instrumente, dem Vorschlagsrecht für Leitlinien für
die Außenhilfe und der Zuständigkeit für Handels- oder Finanzsanktionen könnte
er bei der Gestaltung und Umsetzung politischer Initiativen der Union zu einer
besseren politischen Kohärenz mit anderen Bereichen beitragen, die eine starke
externe Dimension aufweisen. Dem Hohen Vertreter/Kommissar für
Außenbeziehungen müsste auch eine richtungsgebende
Rolle bei der tagtäglichen Krisenbewältigung zuerkannt werden. Unter diesem
Gesichtspunkt ist einzuräumen, dass die im Vertrag von Nizza vorgesehene
Lösungen unbefriedigend ist, dem Politischen und Sicherheitspolitischen
Komitee, dem in Kürze 30 Mitglieder angehören werden, unter der
Verantwortung des Rates die politische Kontrolle und strategische Leitung von
Operationen zur Krisenbewältigung zu übertragen. Die
Bedingungen für eine solche Zusammenlegung der Aufgaben müssten genau
festgelegt werden: –
Sonderstatus: der Hohe Vertreter und Kommissar für Außenbeziehungen
müsste gemeinsam vom designierten Präsidenten der Kommission und vom Rat auf
Ebene der Staats- und Regierungschefs eigens für die Ausübung dieser Funktion
unter der Kontrolle des Kommissionspräsidenten berufen werden; –
Neuordnung der Verfahren: die Zusammenlegung der Aufgaben des Hohen
Vertreters und des Kommissars für Außenbeziehungen bedeutet nicht, dass alle
Aspekte der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach den gleichen
Verfahren behandelt werden; im Bereich der Sicherheit ist zwischen der strategischen
oder diplomatischen Funktion, der wirtschaftlichen Funktion, vor allem im
Zusammenhang mit der Rüstungspolitik, und der militärischen Funktion im engeren
Sinne, also Vorbereitung und Führung militärischer Operationen, zu
unterscheiden; –
Anpassung der Entscheidungsverfahren der Kommission: es müssen
unterschiedliche interne Verfahren geschaffen werden, je nachdem, ob es
beispielsweise um Initiativen in der Außenpolitik, um Initiativen in anderen
Bereichen, z. B. Außenhilfe und Handelspolitik, oder schließlich um Initiativen
im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik geht, die eine besondere
vertrauliche und schnelle Arbeitsweise erfordern; –
Zeitplan für die Durchführung: diese Anpassungen sind schrittweise
vorzunehmen, wie dies bei der Wirtschafts- und Währungsunion geschehen ist. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
der Union muss über ausreichende Mittel
aus dem Gemeinschaftshaushalt verfügen, was derzeit nicht der Fall ist.
Zudem müssen alle für die Umsetzung
erforderlichen Mittel rasch mobilisierbar sein, viel schneller, als dies
heute der Fall ist; das setzt einen besonderen Dialog mit der Haushaltsbehörde
und entsprechende Vorkehrungen zur Anpassung der Gemeinschaftsregeln an die
Besonderheiten dieses Sektors voraus. Der Hohe Vertreter /Kommissar für
Außenbeziehungen muss sich auf ein verstärktes Netz externer Delegationen stützen können. Eine einheitliche
Vertretung des gemeinsamen Interesses ist wesentlich. Die „Vielstimmigkeit“
in internationalen Krisen schwächt die Glaubwürdigkeit der Union. Der Hohe
Vertreter/Kommissar für Außenbeziehungen muss diese Funktion als Sprecher
kontrollieren, das bedeutet jedoch nicht, dass er nicht einen bestimmten
Mitgliedstaat auffordern kann, gemeinsame Positionen zu vertreten oder als
Mittler zu fungieren, wenn dies objektiv gerechtfertigt ist. ·
Die Entscheidungsverfahren Da bei der Zusammenlegung der Funktionen
sowohl die Notwendigkeit der Kohärenz als auch bestimmte Merkmale der
Außenpolitik, insbesondere im Zusammenhang mit der militärischen Dimension, zu
berücksichtigen sind, müssen die Entscheidungs- und Durchführungsverfahren
entsprechend dem gewünschten Integrationsgrad angepasst werden, wobei darauf zu
achten ist, dass dem Europäischen Rat für die kohärente und rasche Durchführung
seiner Leitlinien ein einziger Ansprechpartner gegenübersteht. Damit eine politische Initiative des Hohen
Vertreters/des Kommissars für Außenbeziehungen Gewicht als Initiative der Union
erhält, wird die Unterstützung einer gewissen Zahl von Staaten notwendig sein. Man muß dabei berücksichtigen, dass in diesem
besonderen Bereich Geografie, Geschichte und militärische Fähigkeiten die
einzelnen Mitgliedstaaten in eine oft sehr spezielle Situation gegenüber
Drittländern und angesichts von Konflikten an den Grenzen Europas bringen. So
muss der Hohe Vertreter/Kommissar für Außenbeziehungen bei der Ausarbeitung
einer politischen Initiative diese besonderen Umstände und die objektiven
Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sehr genau berücksichtigen. Wird
diese Dimension bei der Erarbeitung von Initiativen –
wenn das Gesamtinteresse der Union definiert wird – korrekt in Rechnung gestellt, dann erfüllt eine Entscheidung mit
qualifizierter Mehrheit die Bedingungen sowohl der Effizienz wie der
Legitimität. Die Einstimmigkeit muß
in der Tat unterbunden werden, allerdings mit Ausnahme der Verfahren, die
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreffen. Methoden, die heute mehr
oder weniger gut funktionieren, werden eine Verdopplung der Zahl der
Mitgliedstaaten nicht überleben. In der Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik muss letztlich das gemeinsame Interesse dynamisch
definiert werden. Nicht, indem man sich am Zögern einiger weniger orientiert,
sondern indem man die Glaubwürdigkeit und Effizienz einer Politik anstrebt, die
außerhalb der Grenzen der Union bestimmte Grundwerte unserer Demokratien
verteidigen will. Für die erweiterte Union ist in der Außenpolitik
Einstimmigkeit nicht wichtiger als in der Handelspolitik. Würden das
Initiativrecht in der Außen- und Sicherheitspolitik, die Außenvertretung, die
Handlungsmöglichkeiten und die Entscheidungsverfahren auf diese Weise
angepasst, dann würde der Konvent die seit den Verträgen von Maastricht und
Amsterdam gesammelte Erfahrung und die Notwendigkeit berücksichtigen, das institutionelle
Dreieck zu stärken. Mit den vorgeschlagenen Änderungen kann die Kohärenz des
Systems durch Eingliederung des Hohen Vertreters in die Kommission
sichergestellt werden, kann das Handeln des Rates durch ein starkes Konsens-
und Legitimitätselement gefestigt werden, können beim Parlament die Transparenz
und die demokratische Kontrolle verstärkt werden. Käme ein anderes Konzept zum
Zuge, würde man jetzt, wo sich die Zahl der Mitgliedstaaten der Union
verdoppeln wird, das gemeinsame Handeln schwächen und die Gefahr
heraufbeschwören, dass die konstitutionelle Organisation der Union
aufgesplittert wird. Die Zukunft vorbereiten Nach Jahren einer
sich auf Erklärungen beschränkenden politischen Kooperation war der Übergang zu
den derzeitigen Methoden der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
schwierig. Stärker gemeinschaftsorientiert, aber immer noch weit von der
erforderlichen Effizienz entfernt, werden
die Arbeitsmethoden sich nur ändern, wenn die Strukturen, Instrumente und
Verfahren der Entscheidung sich auf kohärente Weise wandeln. Ohne eine
Überarbeitung der Vorträge abzuwarten, hält es die Kommission für unerlässlich,
dass die Arbeitsmethoden verbessert werden: –
engere Zusammenarbeit zwischen dem Hohen Vertreter und der Kommission
durch Einrichtung bestimmter gemeinsamer Dienststellen; –
Ausbau der politischen Rolle der externen Delegationen; –
engere Koordinierung zwischen Hohem Vertreter und Kommission bei der
Verwendung der Haushaltsmittel für die Außenpolitik der Union; –
gemeinsame Teilnahme an bestimmten Arbeiten der Kommission und des
Rates; –
koordinierte Teilnahme an den Debatten des Europäischen Parlaments; –
Vorlage gemeinsamer Initiativen und
Dokumente. So schlägt die Kommission vor (Modalitäten und Zeitplan sind noch
festzulegen): -
dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik die Aufgabe der globalen Abstimmung der
politischen Initiative und eine Leitungsfunktion im Krisenmanagement
zuzuweisen; -
die Aufgaben des Hohen Vertreters und
des Kommissars für Außenbeziehungen zusammen zu ziehen und die Bedingungen
für die Einbeziehung des Hohen Vertreters in die Kommission festzulegen; -
der Außenpolitik die entsprechenden
Instrumente an die Hand zu geben: Haushaltsmittel, geeignete Verfahren, Netz
externer Delegationen; -
den Rückgriff auf
Einstimmigkeitsentscheidungen zu unterbinden und Mehrheitsentscheidungen zu
ermöglichen, mit Ausnahme besonderer Verfahren für die Sicherheits- und
Verteidigungspolitik -
zunächst die kohärente, dann die
einheitliche Repräsentation der gemeinsamen Interessen durch den Hohen
Vertreter, Kommissar für Außenbeziehungen sicherzustellen. * * Zur
Vertiefung des europäischen Projekts bieten die derzeitigen Verträge ein
institutionelles Konzept sowie ein Beschlussfassungsinstrumentarium und
Entscheidungsprozeduren an, die im Hinblick auf eine Union von nahezu
30 Mitgliedstaaten mitunter unzulänglich und ungeeignet sind. Der Konvent
muss dazu beitragen, eine demokratischere und effizientere Union aufzubauen. Dabei gilt es, die institutionelle Architektur neu zu
konzipieren und die Kompetenzausübung der Europäischen Union zu klären. Zurzeit
beruht die Europäische Union auf vier Verträgen, sie betreibt ihre Politik mit
je nach Aktivitätsfeld unterschiedlichen Prozeduren und besitzt keine
eigenständige Rechtspersönlichkeit. Einige Mitgliedstaaten haben noch eine
Sonderstellung und wirken nicht auf allen gemeinsamen Politikfeldern mit. Diese Situation ist das Resultat fünfzigjähriger europäischer
Aufbauarbeit. Sie ist heute eine tägliche Quelle der Konfusion und Inkohärenz
und erlaubt kein effizientes Tätigwerden der Union mehr. Im Vorfeld einer
Erweiterung von bisher noch nicht dagewesenem Umfang ist es dringend notwendig,
zu einer Rationalisierung des gesamten Prozesses beizutragen. Verschmelzung der Verträge Zur
Vereinfachung und Rationalisierung der institutionellen Architektur wird es
nötig sein, den Vertrag über die
Europäische Union mit den Gründungsverträgen der Gemeinschaft zu verschmelzen
und die rechtlich wichtige, politisch aber weitgehend überholte Unterscheidung
zwischen dem gemeinschaftlichen Bereich und den Vertragsbestimmungen über die
gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (zweite Säule) und die polizeiliche
und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (dritte Säule) aufzugeben. Die
Europäische Union braucht eine eigenständige
Rechtspersönlichkeit. Das
bedeutet freilich nicht, dass die gemeinschaftlichen Verfahren in ihrer
derzeitigen Form zwangsläufig auch in jenen Bereichen, die zurzeit zur zweiten
und dritten Säule gehören, Anwendung finden würden. Im Rahmen eines
einheitlichen institutionellen Konzepts müssten die Rolle der Institutionen
sowie die jeweils anwendbaren Entscheidungsverfahren je nach Art der geplanten
Maßnahme bestimmt werden. Überprüfung der
Ausnahmeregelungen auf ihre Stichhaltigkeit Die
bestimmten Mitgliedstaaten durch spezifische Protokolle zugestandenen
Ausnahmeregelungen resultieren aus
nationalen Entscheidungen und bleiben auch weitgehend mit dem aktuellen
rechtlichen Rahmen der Union – nämlich den zwischen souveränen Mitgliedstaaten
geschlossenen Verträgen – vereinbar. Sollte sich der Konvent für einen
Verfassungsvertrag entscheiden, der mittelfristig zur Annahme einer echten
Verfassung durch die Gesamtheit der europäischen Bürger führen soll, wären die
meisten dieser Ausnahmeregelungen allerdings
kaum zulässig, da sie de facto gegen das für die europäischen Bürger geltende
Gleichheitsgebot verstoßen würden. Die Fähigkeit der Institutionen, bestimmte
Politikbereiche zu planen, zu beschließen und umzusetzen, könnte rasch in Frage
gestellt werden – es sei denn, die Zusammensetzung der Institutionen würde je
nach den behandelten Bereichen modifiziert, was für den Rat denkbar ist, für
die Kommission und das Europäische Parlament aber auf offenkundige
Schwierigkeiten stößt. Mit den vielfältigen Wünschen und Fähigkeiten umzugehen,
ohne die Institutionen zu schwächen, dürfte unter diesem Gesichtspunkt eine der
größten Herausforderungen der erweiterten Union darstellen. Die Vertragsbestimmungen zur verstärkten Zusammenarbeit bieten nur
weitgehend theoretische Lösungen an, die bei punktuellen Aktionen, die nicht
die großen politischen Optionen der Union betreffen und die eine Anpassung des
gemeinsamen institutionellen Rahmens rechtfertigen können, in Frage kommen
mögen. Zur Bewältigung einer wachsenden Differenzierung zwischen den
Mitgliedstaaten sind sie jedoch ungeeignet. Praktisch
gesehen beeinträchtigen manche
Ausnahmeregelungen die von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten getroffenen
Maßnahmen wegen der effektiven gegenseitigen Abhängigkeit der Staaten der
Union ganz erheblich. Dies gilt etwa für Politikfelder, die mit der
Freizügigkeit der Personen zusammenhängen, und hat zur Folge, dass die
Kooperation mit bestimmten Drittländern reibungsloser vonstatten geht als mit
manchen Mitgliedstaaten. Diese
Gründe sprechen deutlich für eine kritische
Überprüfung dieser Ausnahmeregelungen. Der Konvent müsste bestätigen, dass ein „Europa à la carte“ keine Option für die
künftige Entwicklung der Union darstellt. In einem Zeitpunkt, da ein
Verfassungsvertrag erarbeitet wird, müssen politische Überlegungen zu der Frage
angestellt werden, was der Beitritt zur Europäischen Union im Unterschied zu
anderen, etwa den im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums entwickelten
Lösungen, konkret bedeutet. Vereinfachung der Verträge Sind
die grundlegenden politischen Optionen zu diesen beiden Punkten – einheitliche
institutionelle Konzeption, Überprüfung bestimmter Ausnahmeregelungen – einmal
präzisiert, wird es möglich sein, eine den Erwartungen der Bürger entsprechende
konkrete Vereinfachung der Verträge in Angriff zu nehmen und einen
Grundsatztext zu entwerfen, in dem die Grundrechtecharta Aufnahme findet. In der
Tat enthalten die Verträge Hunderte von Bestimmungen ganz unterschiedlicher
Relevanz und Tragweite. Daher hatte die Kommission im Jahr 2000 auf der
Grundlage einer von ihr beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz in
Auftrag gegebenen Studie[1] – und ohne zu den
vorgeschlagenen Lösungen im einzelnen Stellung zu nehmen – eine Neuordnung der
Verträge in zwei Teilen vorgeschlagen. Dabei sollte anhand einer Hierarchie der
einzelnen Vertragsbestimmungen zwischen grundlegenden Bestimmungen
(Grundrechte, Organisation der Befugnisse, Grundsätze für gemeinsame
Politikfelder) und den ausführenden Bestimmungen unterschieden werden, die
durch unverbindlichere Prozeduren als die derzeitigen Verträge geändert werden
könnten. Die Europäische Union würde damit über einen
Verfassungstext verfügen, der neben den nationalen
Verfassungen existiert – einen Text, der die Organisation sui generis der europäischen Behörden klarstellt und nach dem
Verständnis der europäischen Bürger für die Union den gleichen Wert haben
könnte wie die Verfassung eines Mitgliedstaats. In diesen Zusammenhang ist
die Frage der Ratifizierung dieses künftigen Rechtsinstruments und die Frage
der Folgen einer etwaigen Nichtratifizierung durch ein oder mehrere Mitglieder
der Union einzuordnen. Die Kommission schlägt daher
vor, -
die Europäische Union mit den
Gemeinschaften zu verschmelzen und der Europäischen Union eine
Rechtspersönlichkeit zu geben, -
die Rolle der Institutionen und die
nach der Art der geplanten Maßnahme jeweils anwendbaren
Entscheidungsverfahren zu bestimmen, -
eine kritische Überprüfung der
bestimmten Mitgliedstaaten eingeräumten Ausnahmeregelungen vorzunehmen, -
auf diesen Grundlagen an einer
gründlichen Vereinfachung der Verträge zu arbeiten, -
einen auf der Grundrechtecharta
beruhenden Verfassungsvertrag auszuarbeiten, der die wesentlichen
Bestimmungen der Verträge übernimmt und für die übrigen Bestimmungen separate
Revisionsverfahren vorzusehen, -
den Verabschiedungsmodus und die
Bedingungen für das Inkrafttreten dieses Verfassungsvertrag zu prüfen. Die
europäischen Regelungen – vielfach wird von einer Regelungswut gesprochen –
scheinen mitunter nationale Gepflogenheiten und die spezifische Art und Weise,
in der jeder Staat bestimmte politische Strategien umsetzt, außer Acht zu
lassen. Sie beeinträchtigen dann bestimmte Traditionen oder Identitäten und
lassen die Art und Weise unberücksichtigt, in der die Menschen im Laufe der
Jahrhunderte ihr Land aufgebaut haben. Hinzu kommt, dass diese europäischen
Regelungen mitunter die Kompetenzaufteilung unberücksichtigt lassen, die manche
Mitgliedstaaten zwischen der nationalen Ebene und den Regionen eingeführt
haben, insbesondere den Regionen mit legislativen Befugnissen. Die
Frage der Kompetenzen weist auf bestimmte Defizite in der Arbeitsweise der
Union hin: –
Defizit an Klarheit wegen der
komplizierten Verfahren und der Vielzahl einschlägiger Instrumente, –
Verantwortlichkeitsdefizit: Der
Demokratieanspruch wird nicht erfüllt, wenn der Entscheidungsprozess aufgrund
komplizierter Verfahren undurchsichtig wird und wenn jene Instanzen, die dem
Bürger gegenüber verantwortlich sind, nicht immer selbst entscheiden oder sich
ihrer Verantwortung gegenüber dem Wähler nur ungenügend stellen, –
Defizit bei der Bürgernähe, weil das
Subsidiaritätsprinzip nicht konsequent umgesetzt wird, –
Effizienzdefizit: Schwerfällige
Entscheidungen, Diskrepanz zwischen der europäischen Aktion und den Erwartungen
der Bürger. Klarheit,
Verantwortung, Bürgernähe und Effizienz – bei den Zielsetzungen gibt es keine
Kontroversen, aber die Frage, wie sie erreicht werden sollen, bedarf der
Prüfung. Hinweis auf die Grundlagen des
derzeitigen Systems Die
Grundsätze des gemeinsamen Handelns sind nach wie vor stichhaltig. Die Union
übt nur deswegen Zuständigkeiten aus, weil die von jedem Mitgliedstaat nach
seinen nationalen Verfahren ratifizierten Gründungsverträge ihr Aufgaben und
die entsprechenden Mittel zur Durchführung zugewiesen haben. Jede Kompetenz,
die der Union nicht zugeteilt worden ist, bleibt so in der Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten. Falls sie nicht über die ausschließliche Kompetenz verfügt,
hat die Union die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit
einzuhalten, d. h. nur aus triftigem Grund und nur soweit tätig zu werden,
als es zur Erreichung der von ihr gesetzten Ziele notwendig ist. Der künftige Grundlagenvertrag der Europäischen Union
sollte die für das Tätigwerden der Union maßgebenden Grundsätze klar
festschreiben: –
die Union kann nur insoweit tätig werden,
als ihr eine entsprechende Kompetenz übertragen worden ist (Grundsatz der
begrenzten Einzelermächtigung), –
die Union kann nur unter voller Wahrung
des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wie sie in den
Verträgen definiert sind, tätig werden, –
das Recht der Union hat Vorrang vor dem
nationalen Recht. Unterteilung der Kompetenzen? Da die
Europäische Union kein Staat ist, sondern Staaten und Völker in einer Form
politischer Integration sui generis
zusammenschließt, haben nahezu alle Politikfelder gleichzeitig eine europäische
und eine nationale Dimension. Wie die Prüfung der Verträge zeigt, besteht nur
auf sehr wenigen Feldern eine ausschließlich europäische Kompetenz. In den
meisten Bereichen wird in der Regel davon ausgegangen, dass die der Union
zugewiesenen Kompetenzen aufgeteilt oder komplementär sind. Nach
Überprüfung jedes einzelnen Bereichs anhand der Vertragsbestimmungen und der
seit Beginn des europäischen Aufbauwerks beschlossenen Rechtsvorschriften ließe
sich vielleicht eine Liste der heute von
der Union ausgeübten Zuständigkeiten aufstellen. Die Kodifizierung eines
solchen Katalogs im Vertrag hätte freilich den Nachteil, die Handlungsmöglichkeiten der Union rigide und willkürlich
festzuschreiben, was in einem in rascher Entwicklung befindlichen globalen
Kontext ganz und gar nicht zielführend wäre. Vor allem aber würde dieser Ansatz
nur eine begrenzte Klärung
hinsichtlich der konkreten Aufteilung der gemeinsamen oder komplementären
Zuständigkeiten herbeiführen: –
Es ist nicht möglich, die Aktionsfelder
einer einzigen – nationalen oder europäischen – Entscheidungsebene zuzuordnen.
So sind die Verkehrs-, Asyl- und Immigrations- oder auch die Sozialpolitik
gleichzeitig europäisch und national – stets kommt es auf die in Erwägung
gezogenen Maßnahmen an. Auf europäischer Ebene können im Kulturbereich keine
Gesetze erlassen werden, doch kann die Wettbewerbspolitik Auswirkungen auf die
auf nationaler Ebene getroffenen Entscheidungen haben – stets kommt es auf die
in Erwägung gezogenen Maßnahmen an. –
Bei den einzelnen Maßnahmen lassen
sich nur sehr allgemeine Grundsätze festschreiben (Handeln im gemeinsamen
Interesse), um zu entscheiden, ob eine bestimmte Maßnahme in die nationale oder
europäische Zuständigkeit fällt. In vielen Fällen wird sich die angestrebte Klärung somit
nicht durch eine Unterteilung der
Kompetenzen bewerkstelligen lassen. Konsolidierung und
Vereinfachung der Formen des Tätigwerdens Um die
Subsidiaritäts- bzw. Verhältnismäßigkeitskonzepte operationell abzustützen,
müsste im Vertrag präzisiert werden, wie und mit welcher Intensität die
Europäische Union handeln soll, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Manche
Vertragsbestimmungen werden den Mitgliedstaaten direkt zur Auflage gemacht,
andere erfordern ein Tätigwerden des Gesetzgebers oder die Verabschiedung von Durchführungsmaßnahmen.
Mitunter macht der angestrebte Zweck eine Maßnahme hoher Regelungsintensität
auf europäischer Ebene notwendig, so dass kaum nationale Gestaltungsräume
bleiben. Dies gilt für Rechtsvorschriften bzw. Beschlüsse, die einheitlich in
allen Mitgliedstaaten gelten sollen. In anderen Fällen belässt die
Regelungsintensität der europäischen Maßnahmen den nationalen Behörden einen
breiten Handlungsspielraum, etwa wenn der Vertrag eine nicht zwingende
Koordinierung der nationalen Politik vorsieht. In den letzten Jahren sind auch
neue Formen der Abstimmung entstanden, etwa die offene Koordinierungsmethode, wo gemeinsame Orientierungen zu
bestimmten Aktionen, die mitunter nicht zum legislativen Kompetenzbereich der
Union gehören, beschlossen werden können. Einheitlich
anwendbare Verordnungen, umfassende oder minimale Harmonisierung, gegenseitige
Anerkennung, mehr oder weniger verbindliche Koordinierung. eine Konsolidierung und Vereinfachung dieser einzelnen Formen des
Tätigwerdens ist geboten. So schließen verschiedene Vertragsbestimmungen
jede Form der Harmonisierung etwa im Gesundheitswesen oder im Kultur- oder
Bildungsbereich aus, wo doch das gemeinsame Handeln auf diesen Gebieten
wichtige Ergebnisse gebracht hat, beispielsweise das Programm Erasmus. Sicher ist es möglich, dieses
Konzept auszubauen und anhand einer im
Vertrag verankerten Liste der Maßnahmentypen zu ganz bestimmten Bereichen den
erwünschten Intensitätsgrad des europäischen Tätigwerdens zu präzisieren, um
die Ausübung der nationalen Kompetenzen nicht zu beeinträchtigen. Beibehaltung eines
Flexibilitätsspielraums In
seinem Artikel 308 EG-Vertrag räumt der Vertrag dem Rat die Möglichkeit
ein, einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten
Vorschriften zu erlassen, um ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen. Dieser
Artikel wird mitunter kritisiert. Hierzu
sei gesagt, dass der Artikel 308 keine
Handhabe bietet, um neue Kompetenzen zu schaffen. Sollen nun die
Möglichkeiten zur Inanspruchnahme des Artikels 308 erweitert werden, um
den von der Union wahrgenommenen Kompetenzbereich zu erweitern oder zu
reduzieren? Wohl kaum, da der normale
demokratische Weg zur Modifizierung der Zuständigkeiten der Union nach wie vor
die Änderung des Vertrags ist. Soll
daher der Rückgriff auf den Artikel 308 zwingender gestaltet werden? Wie
die Diskussionen des Konvents zeigen, sind
viele dafür, dem System eine gewisse Flexibilität zu bewahren. Zur besseren
Handhabung der im Übrigen in engen Grenzen zu haltenden Inanspruchnahme dieser
Bestimmung wäre es somit vorzuziehen, zunächst die gemeinsamen Ziele zu überprüfen, wie sie insbesondere in
Artikel 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
vorkommen, und bei Bedarf die zu ihrer Realisierung notwendigen
Aktionsbefugnisse konkret zu formulieren. Verabschiedung und Umsetzung
der Beschlüsse der Union vereinfachen Die
Kommission hat vielfach die Ansicht vertreten, daß die legislative und
haushaltstechnische Rolle des Europäischen Parlaments ausgebaut werden sollte. Die Mitentscheidung muss der Regelfall beim
Erlass europäischer Gesetze werden – Gesetze übrigens, deren Tragweite im
künftigen Verfassungsvertrag klargestellt werden muss, damit der europäische
Gesetzgeber allgemeine Normen hierfür definieren kann, ohne die Modalitäten ihrer
Umsetzung im Detail zu kodifizieren. Die
Vorrechte des nationalen Gesetzgebers bleiben wirksamer gewahrt, wenn sich die europäischen Gesetze auf allgemeine Ziele
konzentrieren und ihm eine möglichst weitgehende Wahlfreiheit bei den
Mitteln und Wegen für ihre Umsetzung belassen. Auch die Kombination der
Rechtsetzung mit anderen, nicht verbindlichen Konzepten wie Empfehlungen,
Leitlinien oder auch die Selbstregulierung in einem gemeinsam vereinbarten
Rahmen ist möglich. Es
könnte auch überprüft werden, ob es für die wirksame Umsetzung gemeinsamer
Politikbereiche zielführend ist,
bestimmte Gemeinschaftsrechtsakte aufrecht zu erhalten. Diese Überprüfung
könnte zur Aufhebung derartiger Rechtsakte führen, wenn sich erwiese, daß die
betreffenden Maßnahmen von den Mitgliedstaaten besser durchgeführt werden
könnten. Diese
Orientierungen sind nicht neu. Sie stoßen mitunter an eine Grenze dahingehend,
welchen Vertrauensvorschuss die Mitgliedstaaten bei der Einhaltung bestimmter
besonders wichtiger Vorschriften zum freien Warenverkehr etwa im Bereich
Gesundheit und Sicherheit einander einräumen. Wie dem auch sei, die
europäischen Institutionen denken seit langem über Arbeitstechniken und
–gepflogenheiten nach, die eine bessere
Rechtsetzung ermöglichen – unter anderem auch dadurch, dass das
Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip geachtet und den nationalen
Parlamenten ein gewisser Handlungsspielraum belassen wird. Diese Bemühungen
müssen sich auf Vertragsebene auf die konkrete Unterscheidung zwischen dem, was als Gesetz zu gelten hat und dem, was
unter die Durchführungsvorschriften fällt, abstützen können Nach
dem Vertrag (Artikel 202) überträgt der Rat außer in Einzelfällen der
Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur
Durchführung der Vorschriften, die er erlässt. Das Weißbuch Europäisches Regieren gibt einige Leitlinien vor, um innerhalb des institutionellen Systems
eine echte Vollzugsfunktion im Hinblick auf Politikfelder und
Rechtsvorschriften aufzubauen, die auf die notwendige Sachkompetenz
insbesondere bei den die Politik der Union umsetzenden nationalen Behörden
zurückgreift. Die folgenden Leitlinien müssen aktiv angestrebt werden, damit das
System besser verständlich und transparenter wird: Unterscheidung im künftigen
Verfassungsvertrag, was in den Bereich des Gesetzes oder der
Durchführungsvorschriften fällt, Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens bei
der Verabschiedung aller legislativen Texte und Bemühungen um eine bessere
Rechtsetzung; Übertragung der Verabschiedung der Durchführungsmaßnahmen auf die
Kommission innerhalb gesetzlich definierter Bedingungen und Grenzen,
Einrichtung eines einfachen rechtlichen Mechanismus, mit dessen Hilfe das
Europäische Parlament und der Rat als Legislative die Aktion der Kommission in
Bezug auf die in der Rechtsetzung beschlossenen Grundsätze und politischen
Orientierungen verfolgen und kontrollieren können. Die Kommission schlägt daher
vor, -
in den künftigen Verfassungsvertrag die
grundlegenden Prinzipien aufzunehmen, die für die Aktion der Union maßgebend
sind, -
die Inanspruchnahme der einzelnen
Aktionsinstrumente der Union – von der Harmonisierung bis zur Koordinierung –
je nach dem gewünschten Intensitätsgrad zu vereinfachen und zu konsolidieren, -
eine Unterscheidung dahingehend zu
treffen, was in den Bereich des Gesetzes oder der Durchführungsvorschriften
fällt und bei der Verabschiedung aller Texte legislativer Natur das
Mitentscheidungsverfahren anzuwenden, - den Erlass von Durchführungsmaßnahmen unter den in der Gesetzgebung
vorgesehenen Bedingungen und unter der Kontrolle des Gesetzgebers auf die
Kommission zu übertragen. Auf nationaler Ebene Europäische
Regelungen haben mitunter zu
weitreichende nationale Vorschriften
zur Folge und sorgen für Verständnislosigkeit oder Ablehnung seitens der
Bürger. Es gibt
zahlreiche Beispiele für solche Auswüchse, etwa in der Regionalpolitik oder bei
der Anwendung der Binnenmarktvorschriften. Solche Fehlentwicklungen können die praktische
Effizienz des europäischen Regelwerks beeinträchtigen. Obwohl sie nur schwer
systematisch nachweisbar sind, sollte über mögliche
Gegenmaßnahmen nachgedacht werden, damit Europa nicht länger für übermäßige
Regelungen verantwortlich gemacht wird, die es gar nicht verursacht hat. Auf europäischer Ebene Könnte
eine Aktion besser auf nationaler Ebene durchgeführt werden oder überschreitet
sie das zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele notwendige Maß, muss sie
aufgegeben oder abgeändert werden. Da eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen
europäischer und nationaler Ebene sich als unwirksam erweist, müssen spezifische Kontrollverfahren eingerichtet
werden, um die Einhaltung des Subsidiaritäts- und des
Verhältnismäßigkeitsprinzips sicherzustellen. Bei der
Konzeption dieser Kontrollverfahren ist die Existenz der Kontrolle durch den
Gerichtshof zu berücksichtigen: jede zwingende Gemeinschaftsmaßnahme kann vom
Gerichtshof aufgehoben oder für unwirksam erklärt werden, insbesondere bei
einem Verstoß gegen das Subsidiaritäts- oder das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Für diese ex-post-Kontrolle könnten
die Modalitäten für die Anrufung der Kontrollinstanz überprüft und erweitert
werden. Im
übrigen ist es in erster Linie Sache der Europäischen Institutionen – der Kommission,
wenn sie einen Rechtsakt vorschlägt, des Europäischen Parlaments und des Rats,
wenn sie ihn annehmen – das Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip
einzuhalten. Um den
Entscheidungsprozess transparent zu gestalten, ohne ihn zu beeinträchtigen,
könnte allerdings eine externe Kontrolle
der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Ergebnis des
legislativen Prozesses vorgenommen werden, und zwar vor dem Inkrafttreten des
Rechtsakts. Der Gesetzgeber kann eine geplante Maßnahme aufgeben oder
modifizieren, wenn sich herausstellen sollte, dass sie gegen das
Subsidiaritäts- bzw. Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt. Manche
schlagen eine politische Kontrolle vor, andere eine gerichtliche Kontrolle.
Beide Ansätze müssen geprüft werden. Die Kommission ist aber jedenfalls der
Ansicht, dass die Überprüfung der Einhaltung des Subsidiaritäts- bzw. des
Verhältnismäßigkeitsprinzips verfassungsrechtlicher Natur sein und gleichzeitig
eine Beurteilung des Gemeinwohls und
eine Bewertung der Wahrung des Rechts umfassen
müsste. Diese Kontrolle bräuchte nicht systematisch zu sein, sondern nur dann zu erfolgen, wenn ernsthafte Zweifel an der
Einhaltung des Subsidiaritäts- oder des Verhältnismäßigkeitsprinzips geäußert
werden. Das Verfahren müsste zügig
durchgeführt und innerhalb von zwei bis vier Wochen abgeschlossen werden, um
den Entscheidungsprozess nicht
aufzuhalten. Macht
sich der Konvent die Idee dieser externen Kontrolle vor dem Inkrafttreten eines
Rechtsakts zu eigen, müsste die ex-post-Kontrolle entsprechend angepasst
werden. Die Kommission schlägt daher
vor, -
zu prüfen, wie vermieden werden kann,
dass die Umsetzung und der Vollzug der europäischen Regelungen durch die
nationalen Behörden zu einer übermäßigen Reglementierung durch diese Behörden
führen, -
eine externe Kontrolle –
verfassungsrechtlicher Natur – der Einhaltung des Subsidiaritäts- und des
Verhältnismäßigkeitsprinzips einzurichten. * * In den kommenden Monaten wird sich die Europäische Union mit einer
grundlegenden Entscheidung konfrontiert sehen. Wird sie die neuen Aufgaben, die
sie übernehmen soll, innerhalb des institutionellen Systemswahrnehmen? Muss die
Gemeinschaftsmethode auf ihre historische Erfolgsgeschichte reduziert werden –
den gemeinsamen Markt – oder soll das, worin ihre Stärke liegt, für andere
Politikfelder beibehalten werden? Es ist
vielfach auf den innovativen Charakter und die besondere Ausgewogenheit des
gemeinschaftlichen Aufbauwerks hingewiesen worden, das nicht die
Gewaltentrennung, sondern die Gewaltenteilung organisiert. So liegt die
legislative Befugnis beim Europäischen Parlament, aber auch beim Rat; und
dieser teilt seinerseits die vollziehende Gewalt mit der Europäischen
Kommission, die das Monopol des Initiativrechts innehat, während die Umsetzung
der Politik weitestgehend Sache der nationalen oder regionalen Behörden ist. Diese Bündelung aller Kräfte und aller Befugnisse um das
europäische Gemeinwohl herum gilt es zu bewahren. Und
an der Europäischen Kommission – wie von den Initiatoren Europas gewollt – als
unabhängiger Institution festzuhalten, die die Gleichbehandlung der
Mitgliedstaaten gewährleistet und konkret den Ort der Kohärenz, der Synthese
und der Berücksichtigung des Gemeinwohls repräsentiert. Diese
Vision ist nach wie vor richtig. Für relativ neue Felder wie außen- und
verteidigungspolitische Fragen, für die Bereiche Sicherheit, Justiz oder
Polizei, oder auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, müssen Schiedsgerichts-
und Aktionssysteme eingerichtet werden, welche die Effizienz und Legitimität
der Gemeinschaftsmethode auf sich vereinen. Diese
Methode, die auf dem Gleichgewicht der Institutionen in den einzelnen Phasen
des Entscheidungsprozesses von der Planung bis zur Umsetzung mit einer
besonderen Rolle der Kommission als Garant des Gemeinwohls beruht, gestattet
es, die Transparenz, die Kohärenz und die Effizienz der durchzuführenden
Aktionen zu gewährleisten. Die Kommission wird ihre Vorstellungen zu den
institutionellen Aspekte zukünftiger Reformen noch vertiefen, und zwar rechtzeitig,
um einen Beitrag zu den Beratungen des Konvents zu diesem Thema leisten zu
können. Entsprechende Anpassungen werden nötig sein. Alle
Institutionen müssen sich auf ihre Kernaufgaben ausrichten und ihre tiefgreifende Reform akzeptieren. Die Kommission ist zu dieser
Entwicklung bereit und hat sie mit den ersten von ihr vorgelegten
Orientierungen für eine besseres europäisches Regieren bereits in Angriff
genommen. Die Verbindung zwischen den europäischen Bürgern und dem
Gemeinschaftshaushalt muss direkter und transparenter gestaltet werden, damit das direkt
gewählte Europäische Parlament in
Haushaltsfragen bei der Aufteilung der Einnahmen und Ausgaben jene Vorrechte wahrnehmen kann, die seiner
demokratischen Legitimität entsprechen. Die Union muss mit ausreichenden
Eigenmitteln ausgestattet werden, damit sie das Projekt entwickeln kann, das
ihr übertragen wird und für das sie verantwortlich ist. Die Europäische Kommission muss ihre demokratische
Legitimität konsolidieren, ohne ihre Unabhängigkeit
gegenüber nationalen und parteiischen Interessen aufzugeben, die ja gerade eine
der Grundlagen ihrer Legitimität darstellt. Während
der Konvent seine Arbeit aufnimmt, sei auf die Grenzen anderer
Organisationsformen hingewiesen. Die Grenzen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit
als Quelle der Machtlosigkeit, die Grenzen einer politischen Führung der Union
durch einige Mitgliedstaaten als Quelle von Spannungen und Blockade. Der
Konvent hat die Verantwortung, ein Bild von der Union von morgen zu zeichnen.
Einer Union, deren durch gemeinsame Politik geeinte und durch starke
Institutionen verbundene Mitgliedstaaten in der Lage sein müssen, über ihre
eigenen Divergenzen hinaus schlicht und einfach den Erwartungen ihrer Völker
gerecht zu werden.
1. Ein Projekt, drei
Hauptaufgaben
1.1. Die Union muss ihr
Modell der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung konsolidieren: Wohlstand
und Solidarität
1.2. Die Union muss ihren
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts schaffen
1.3. Die Union muss ihre
Verantwortung als globale Kraft wahrnehmen
*2. Ein Verfassungsvertrag
2.1. Ziel ist ein Verfassungsvertrag
2.2. Wie soll die Union
ihre Zuständigkeiten ausüben und umsetzen?
2.3. Durchsetzung des
Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips
*
[1] Ein Grundlagenvertrag für die Europäische Union, Mitteilung der Kommission vom 12. Juli 2000 (KOM (2000) 434).