Sehr geehrter Herr Lübeck,
mein Name ist Walter Keim. Ich habe in den Jahren 1978 bis 1982 mit der Gesamtdynamik des GROWIAN gearbeitet und mit Interesse Ihren sehr interessanten Artikel "Growian: missglückte Großwindanlage der 1980er" www.ideenschmied.eu/growian-missglueckte-grosswindanlage-der-1980er/ gelesen und möchte das gerne kommentieren und mit einigen Insider Informationen ergänzen.
Wir haben Januar 1980 in den VDI-Berichte 381:113-120 "Zur Dynamik von groβen Windkraftanlagen" (K. Kehl, Walter Keim, Fritz Kiessling, A. Rippl) https://www.researchgate.net/publication/284476745_Zur_Dynamik_von_groben_Windkraftanlagen unserer Rechenmodell der Gesamtdynamik vorgestellt.
"Die Inbetriebnahme selbst war mit einer harten Notabschaltung verbunden, bei der nach Auffassung … [des Befragten] die Anlage einen starken Schaden erhalten hat.“ Offenbar hat die Notabschaltung nicht ganz funktioniert und hätte möglicherweise bei sachgemäßer Inbetriebnahme besser kalibriert werden können. Ich verstehe das so, dass hier die Gesamtdynamik der Anlage den Schaden angerichtet hat.
Nachdem ich 1978 in der MAN Neue Technologie als Entwicklungs- und Berechnungsingenieur habe ich auf dem Oktoberfest mit einem Windmühlenbauer gesprochen. Der hat mir gesagt, dass es unvernünftig ist so groß anzufangen und dass GROWIAN nur gebaut wird um zu zeigen, dass es nicht funktioniert. Als ich meinen Fachvorgestzten fragte, ob er das weiß antwortete er ja. Aber es sei noch schlimmer. Die MAN sei gewählt worden, weil man annahm, dass sie wenig weiß. Um beim darauffolgenden Auftrag keine Konkurrenten mit Wissen zu versorgen, habe man beim Erstellen der baureifen Anlagen Unterleverandöre gewählt die noch weniger Erfahrung haben. So hat MAN ja den Bauauftrag bekommen.
Kollegen, die das Projekt einige Tage studiert haben, kamen zum gleichen Schluss. So wir haben alle gewusst was da läuft.
Jörn/Pulczynski "Die Große Windenergieanlage GROWIAN - Eine Fallstudie" hat sehr viel interessantes Material zusammengetragen.
Das mochte ich ergänzen. Es gab Gespräche mit einem englischen Flugzeughersteller mit der Frage ob, die einen Rotor entwickeln können. Ich erinnere mich noch, dass der Vorgestzte der das eingeleitet hat, meinte, dass ein Rotor der nicht so „Maschinenbau“ geprägt ist doch besser passen würde. Leider kenne ich die Einzelheiten nicht. Aber da ist bedauerlicherweise nichts daraus geworden.
Der Projektleiter Herr Helm hat sich mit einem Angestellten der HEW über die Anzahl der Windmesser am Messturm gestritten. Zum Schluss war er so wütend, dass er sagte, er zahlt die Windmesser aus der eigenen Tasche.
Im Jahre 1981 ist das Gewicht der Gondel (300 Tonnen?) zu groß geworden. Damit wurde die Eigenfrquenz der Turmschwingungen ungünstig. Deshalb wurde vorgeschlagen den Turm auf 80 Meter zu kürzen. An einer Bespechung im Budesministerium nahmen von der MAN Dr. Klaus Kehl und Projektleiter Helm, der mit zerzausten Harren aus seinen Ferien auf der Insel Sylt anreiste, teil. Ich erinnere mich nicht an Einzelheiten aber mir wurde gesagt, dass ausschlaggebend war, dass die Broschüren mit 100 Meter schon gedruckt sind und man das nicht verändern wolle.
Ich habe mit Fritz Kiessling von der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V Mitte der 80-ziger Jahre gesprochen. Er hatte einen Auftrag bekommen die Meßergebnisse bezüglich der Gesamtdynamik zu analysieren und bewerten. Er hat mir auch vom Schaden bei der Inbetriebnahme erzählt. Schade, dass Herr Pulczynski diesen Bericht nicht erwähnt.
Das GROWIAN Projekt wurde von der Kernforschungsanlage Jülich geleitet. In Tvind in Dänemark waren engagierte Anhänger der Windkraft verantwortlich. Dort entstand 1978 eine Windkraftanlage, die seit mehr als drei Jahrzehnten in Betrieb ist und bis heute im Einsatz ist – als Boeing, Westinghouse, General Electric, Hamilton Standard, Kaman, Messerschmidt-Bölkow-Blohm, MAN und andere ausgefallen waren, wurden ihre Turbinen demontiert und als Schrott verkauft. (Paul Gipe Erik Möllerström An overview of the history of wind turbine development: Part II–The 1970s onward).
In Wikipedia steht: "Unter der Bezeichnung MAN WKA-60 wurde eine weitere GROWIAN-Anlage mit 1,2 MW Leistung auf Helgoland 1990–1995 errichtet. Auch diese Anlage war nur kurze Zeit in Betrieb und wurde 1995 nach drei Schäden wegen häufigen Blitzeinschlägen wieder abgebaut."
Kaum zu glauben, dass Blitzeinschläge die Stillegung verursachten. Leider finde ich im Internet keine Beschreibung, wie über GROWIAN.
Mit freundlichen Grüßen aus Norwegen
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Walter
Keim
Netizen: http://walter.keim.googlepages.com
Case Keim Against Germany: No Right to Information Law in
Bavaria:
https://t.co/krZaa1Jyok
http://wkeim.bplaced.net/files/enforce_access_to_information.html
Anlage: Der Spiegel 14/2004. Die große Luftnummer. https://www.spiegel.de/politik/die-grosse-luftnummer-a-f28f16e5-0002-0001-0000-000030346813?context=issue