12
und dann nach
Mittel und Wegen gesucht hat, wie er den so bedrängten Menschen
helfen konnte.
Zum Zweiten gab es unter den Rudenrettern nicht weniger, die mit der
Person, für
deren Schutz sie so viel investierten, befreundet waren. Und schließlich
gibt es da noch
eine dritte Gruppe von Judenrettern: Menschen, die plötzlich auf
ei-
nen jüdischen
Mitbürger gestoßen sind, der in Not war und die dann schlicht zu viel
Mitleid hatten,
um hier wegschauen zu können.
Ein Beispiel
ist die polnische Taglöhnerin, die sich im Winter 1944 auf dem Heimweg
befindet. Sie
lebt in einem Dorf ganz in der Nähe von Majdanek. Plötzlich springt ein
Mann vor ihr
auf den Weg, wirft sich ihr zu Füßen und fleht sie mit gefalteten Händen
an, ihn zu
retten. An seiner Kleidung und seinem Aussehen erkennt sie sofort, dass
er ein Jude aus
dem Konzentrationslager ist, dem dort die Flucht gelungen war. Sie
hat Angst. Im
Dorf leben Gestapo-Leute. Und selbst bei den Landsleuten kann sie
nicht sicher
sein. Trotzdem kann sie nicht nein sagen. So entkräftet, wie er ist, würde
der Flüchtling
die Nacht im Freien wohl nicht überleben. Sie überwindet ihre Angst
und fordert ihn
auf, ihr schnell zu folgen. Als sie das rettende Ufer erreicht, ihr
Häu-
schen am Rande
des Dorfes, wird ihr schnell klar, dass der Mann als erstes in die
Badewanne muss,
so verdreckt und verfroren wie er ihr da gegenübersitzt. Aber er
ist sogar zu
schwach, sich auszuziehen. Wie bei einem kleinen Kind muss sie das
ebenso
übernehmen wie das Abtrocknen und das Einkleiden in die Sachen ihres im
Krieg
gefallenen Mannes. Nach dem Essen kommt er dann allmählich zu Kräften,
und sie kann
ihm erklären, welche Richtung er am nächsten Morgen einschlagen
muss, um
versorgt mit Geld, das sie entbehren kann, das rettende Ausland zu
errei-
chen. Das
schafft er dann tatsächlich. Auf Umwegen landet er in den USA und kann
Anfang der
80-er Jahre den Wissenschaftlern erklären, wo sie möglicherweise seine
Retterin finden
können. So kommt es zu dem Interview mit ihr, in dem sie Auskunft
darüber gegeben
hat, was sie in ihrem Leben geprägt hat.
Die
Erkenntnisse der Wissenschaftler zur Biographie von Hilfsbereitschaft,
Zivilcou-
rage und der
Fähigkeit, sich unabhängig ein eigens moralisches Urteil zu bilden und
danach zu
handeln, lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: