Öffentlichkeitsgrundsatz in Schweden


In Schweden haben alle Mitbürger das Recht,
bei Behörden und Ämtern Einsicht in Akten und Dokumente zu nehmen.

Einleitung
Warum hat Schweden einen Öffentlichkeitsgrundsatz?
Gesetzliche Vorschriften
Alles kann doch nicht öffentlich sein?
Geheimhaltungsgesetz
Anforderungen an die Behörden
Pressefreiheit und Informationsfreiheit
Die Zukunft des schwedischen Öffentlichkeitsgrundsatzes

 

Einleitung

Die schwedische Verwaltung unterscheidet sich von den Verwaltungen der meisten anderen Länder in einem wichtigen Punkt: das Recht aller Mitbürger, bei den Behörden und Ämtern in alle Akten und Dokumente Einsicht nehmen zu können. Dieses Recht ist im Grundgesetz verankert und wird von vielen Schweden als unersetzlich für die Demokratie angesehen. Doch wie funktioniert diese öffentliche Einsichtnahme eigentlich? Und wie steht es mit ihrer Zukunft nach dem Beitritt Schwedens zur Europäischen Union, wo der Transparenz nicht die gleiche Bedeutung zukommt?
In Schweden soll die gesamte staatliche und kommunale Tätigkeit im Lichte der Öffentlichkeit erfolgen. Dieser sehr alte Grundsatz war schon in den Grundgesetzen aus dem 16. Jahrhundert zu finden. Die Bestimmungen zu diesem Grundsatz der Öffentlichkeit stehen auch heute im Grundgesetz, d.h. im Gesetz über die Pressefreiheit. Der Grundsatz der Öffentlichkeit soll eine allgemeine Einsichtnahme durch die Mitbürger gewährleisten.
Dies bedeutet, dass alle in einer Behörde vorhandenen Akten und Dokumente – einschließlich Bandaufnahmen und in Computer gespeicherte Daten – für die Allgemeinheit zugänglich sind. Offenheit ist hierbei die Grundregel, Geheimhaltung die Ausnahme. Es muss demnach immer eine gesetzliche Begründung vorliegen, wenn die Herausgabe von Informationen oder Unterlagen durch eine Behörde verweigert wird.
Zum Öffentlichkeitsgrundsatz gehört auch das Recht, Verhandlungen bei Gerichten und gewählten Gremien wie dem schwedischen Reichstag, Gemeinderat usw. beiwohnen zu können. Aufgrund seiner Verankerung im Grundgesetz ist der Öffentlichkeitsgrundsatz immer der Ausgangspunkt; weitere Gesetze sowie der einzelne Beamte müssen sich immer nach diesem Grundsatz richten. Da dieser Grundsatz zur Verfassung Schwedens gehört, wurde er auch gegenüber dem EG-Recht und der Europäischen Union als schwedisches Grundrecht hervorgehoben (Schweden ist 1995 der Europäischen Union beigetreten).

Warum hat Schweden einen Öffentlichkeitsgrundsatz?

Für die Einsichtnahme durch die Öffentlichkeit gibt es viele Gründe. Es geht hierbei vor allem um Belange, die alle Menschen gleichermaßen betreffen – die jeden einzelnen angehen, und für die wir ja alle als Steuerzahler unseren Beitrag leisten. Mit dem Recht auf Einsichtnahme erhalten wir auch die Gelegenheit, auf diese im Grunde genommen gemeinsamen Belange Einfluss zu nehmen. Wir erhalten ferner die Möglichkeit der Kontrolle. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist folglich aus demokratischen Gründen wichtig.
Ein weiterer Grund ist die Rechtssicherheit. Der von einem Behördenentscheid betroffene Bürger soll zur Wahrnehmung seiner Rechte die volle Einsichtnahme in die Bearbeitung seines Falles haben. Doch auch andere Personen sollen Einsicht nehmen können. Der von einer übermächtigen Behörde an den Rand gedrängte einzelne Bürger kann allein nicht allzu viel ausrichten. Durch die öffentliche Einsichtnahme erfolgt ein Ausgleich der Machtverhältnisse, das Risiko einer willkürlichen Entscheidung oder eines fehlerhaften Beschlusses nimmt ab.
Wenn unsere Behörden unter Einblick der Öffentlichkeit arbeiten, sehen sie sich auch einem größeren Druck ausgesetzt, effizient zu arbeiten. Unnötige bürokratische Prozesse werden sichtbar und können kritisiert werden. Gibt es hingegen keine öffentliche Einsichtnahme, fällt die Tätigkeit oft der Routine zum Opfer, Impulse für Veränderungen bleiben aus. Der Grundsatz der Öffentlichkeit führt zwar für eine Behörde manchmal zu Mehrarbeit – wenn z.B. ein Beamter einem Journalisten bei seinen Recherchen behilflich ist und deshalb seine Tätigkeit unterbrechen muss. Doch in einer weitergehenden Perspektive ist das Recht auf Einsichtnahme der Effizienz nur dienlich.
 

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Gesetzliche Vorschriften

Zur Erleichterung und Sicherstellung der Einsichtnahme, zur Unterstützung des Öffentlichkeitsgrundsatzes also, wurden viele Bestimmungen erlassen. So sind beispielsweise alle Behörden verpflichtet, zur Erleichterung der allgemeinen Einsichtnahme ein Verzeichnis über die Akten und Unterlagen zu führen, das häufig als Diarium (Tagebuch) bezeichnet wird. Im Verzeichnis müssen auch die von den Geheimhaltungsvorschriften betroffenen Unterlagen aufgeführt werden. Demnach ist es zwar zulässig eine Akte, jedoch nicht deren Existenz geheimzuhalten. Eine weitere, den Öffentlichkeitsgrundsatz stützende Vorschrift ist das Recht auf Beschwerde. Gibt eine Behörde die Unterlagen nicht frei, kann bei Gericht dagegen Beschwerde eingelegt werden. Für gewöhnlich geben die Gerichte dem Einspruch des Klägers statt.
Ist einem Beamten oder einer Behörde bei der Bearbeitung ein Fehler unterlaufen, z.B. wenn die Beantwortung eines Ersuchens nicht genügend schnell erfolgte, kann dies dem Ombudsmann des Reichstags (JO) gemeldet werden, der dann die nötigen Maßnahmen einleitet. Vor allem in den amtlichen Berichten des JO gibt es ausführliche Beschreibungen darüber, wie die Behörden zur Gewährleistung der größtmöglichen Einsichtnahme vorgehen sollen.
 

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Alles kann doch nicht öffentlich sein?

Nein, selbstverständlich nicht. Natürlich gibt es Geheimhaltungsvorschriften. Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit ist Beschränkungen unterworfen.
Persönliche Unterlagen, wie z.B. reine Privatbriefe, sind nicht öffentlich. Eine wichtigere Ausnahme gilt für die Belange, die gerade behandelt werden. »Der Arbeitsablauf «darf beispielsweise nicht dadurch gestört werden, dass ein Beamter zur Herausgabe von nicht fertiggestellten Akten gezwungen wird. Es wäre ja auch nicht angemessen, wenn ein an der Abfassung eines Urteils arbeitender Richter der Allgemeinheit »einen Blick über die Schulter« gestatten würde, um seine Gedanken lesen zu können.

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Geheimhaltungsgesetz

Der Hauptgrundsatz lautet also Offenheit bei allen Behörden. Für Ausnahmefälle muss eine Gesetzesvorschrift über die Geheimhaltung zugrunde liegen, die vor allem im Geheimhaltungsgesetz enthalten ist. Diese Geheimhaltungsvorschriften sind vielfach und unterschiedlicher Art und können sich auf die Sicherheit des Landes beziehen oder auf die Finanzen, auf die Vorbeugung und die Ahndung von Verstößen, auf den Schutz von Angaben über Einzelne oder Unternehmen etc. Der Unterschied zwischen Schweden und den Ländern ohne Öffentlichkeitsgrundsatz liegt nicht darin, dass Schweden weniger Geheimhaltungsvorschriften hat, sondern dass deren Anwendung stark beschnitten ist, vor allem aufgrund des eigentlichen Grundsatzes, nämlich der Öffentlichkeit.
Die Tatsache, dass etwas »vertraulich« ist, eine Akte »geheimgehalten« wird und »Geheimhaltungspflicht« herrscht, beinhaltet, dass die betreffende Information – per Gesetz – nicht außerhalb der Behörde herausgegeben werden darf. Verstöße gegen die Geheimhaltung können teils die Herausgabe von vertraulichen Unterlagen sein, teils die mündliche Herausgabe von Auskünften.
Über die Vertraulichkeit von Informationen entscheidet das Gesetz. Die Geheimhaltung erfolgt nicht per Beschluss, also nicht einfach mittels »Vertraulichkeitsstempel«. Ein diese Akte für geheim erklärender Stempel oder Hinweis dient dem Sachbearbeiter lediglich als »Warnsignal«, mit dem Inhalt der Akte vorsichtig umzugehen.
Die Geheimhaltungsvorschriften sind äußerst selten absoluter Art. Das Gesetz besagt, dass gewisse Auskünfte unter Verschluss gehalten werden können – unter bestimmten Voraussetzungen. Grundsätzlich gilt, dass die Vertraulichkeit zum Schutz der Menschen oder gemeinsamen Interessen gedacht ist. Die Geheimhaltung gilt deshalb nicht, wenn die Auskunft gefahrlos erteilt werden kann. Hier setzt der Öffentlichkeitsgrundsatz an – keine unnötige Geheimniskrämerei.

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Anforderungen an die Behörden

Die Behörden sollen die Herausgabe von Akten und Unterlagen an die Allgemeinheit schnell erledigen. Eine Behörde sollte so geordnet sein, dass dem Wunsch der Allgemeinheit ohne Umschweife entsprochen werden kann. Hier folgen einige Beispiele für die Umsetzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes:

Dem Wunsch auf Einblick in öffentliche Dokumente soll entsprochen werden, sobald die Mitarbeiter der Behörde anwesend sind.
Es spielt keine Rolle, ob der Antragsteller »außerhalb der Sprechzeit« kommt. Alle Fragen, die unter den Öffentlichkeitsgrundsatz fallen, müssen in jedem Fall bearbeitet werden.

Anfragen zu öffentlichen Auskünften müssen immer umgehend beantwortet werden.
Hegt ein Beamter bei der Entgegennahme einer Anfrage Zweifel, ob er die Unterlage oder Angabe herausgeben kann, muss er umgehend der Sache nachgehen. Er kann nicht einfach antworten: »Ich weiß nicht, ob ich die Akte herausgeben darf, ich kann jetzt nicht darauf antworten, kommen Sie in einer Woche wieder«. In der Praxis muss der Antragsteller in spätestens 24 Stunden einen Bescheid erhalten. Diese Faustregel wird von der Rechtspraxis des JO gestützt.

Der Antrag auf Herausgabe einer Akte muss in jedem Einzelfall gesondert geprüft werden.
Selbst wenn ein Ordner mit einem sogenannten Vertraulichkeitsstempel versehen ist, oder die Akte früher als vertraulich galt, muss die Behörde darüber befinden, ob die Akte nun herausgegeben werden darf. Vielleicht erfolgt die Herausgabe unter Vorbehalt, oder nach Entfernen gewisser Teile. Vielleicht hat die Akte auch rein routinemäßig den Stempel erhalten. Eine Überprüfung hat in jedem Fall zu erfolgen.

Die Allgemeinheit hat ein Recht, an Ort und Stelle die Akten einzusehen.
Dies bedeutet, dass die Behörde die Möglichkeit bieten muss, das Material in Ruhe einsehen und studieren zu können.

Eine Behörde ist verpflichtet, die Auskünfte mündlich, z.B. telefonisch, zu erteilen.
Telefonische Anfragen über den Inhalt von öffentlichen Akten müssen genauso beantwortet werden wie persönliche Anfragen, also umgehend.

Eine Behörde ist zur Herausgabe von Abschriften öffentlicher Akten verpflichtet.
Die Allgemeinheit hat zwar nicht das Recht auf Mitnahme der Akten, sie darf jedoch Abschriften davon erhalten. Auch dies muss sofort und an Ort und Stelle erfolgen. Bei mehr als 9 Kopien kann die Behörde eine Gebühr erheben.

Eine Behörde ist zur Übersendung der Akten per Post oder Telefax verpflichtet.
Ein Antrag, ob telefonisch, per Fax oder Brief, auf Zusendung öffentlicher Akten in Abschrift, muss genauso bearbeitet werden wie ein persönliches Vorsprechen, also ohne Umschweife.

Ein Antrag auf Einsichtnahme in eine oder mehrere Akten muss so präzise abgefasst sein, dass die Behörde die Akte oder Akten identifizieren kann.
So lange ein Antrag präzise abgefasst ist, spielt es keine Rolle, wie zeitraubend die Suche nach dem Material ausfällt, da die Aushändigung in jedem Fall erfolgen muss. Eine Gebühr für die Vorlage von Akten darf nicht erhoben werden.

Wird einem Antrag der Allgemeinheit gemäß Grundsatz der Öffentlichkeit nicht stattgegeben, muss auf die Möglichkeiten des Einspruchs hingewiesen werden.
Kann eine beantragte Akte oder ein Dokument nicht herausgegeben werden, muss der Antragsteller über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel belehrt werden. Schließlich muss die Behörde einen schriftlichen Beschluss fassen und die Möglichkeiten für das Einlegen eines Einspruchs angeben.

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Pressefreiheit und Informationsfreiheit

Die Vorschriften zum Grundsatz der Öffentlichkeit stehen im Gesetz über die Pressefreiheit, da Offenheit und Einsicht in die Arbeit der Allgemeinheit für eine wirkliche Pressefreiheit eine wichtige Voraussetzung sind. »Zur Förderung eines freien Meinungsaustausches und einer allseitigen Aufklärung soll jeder schwedische Staatsbürger ein Recht auf Einsicht in allgemeine Akten haben«, so steht es im Gesetz über die Pressefreiheit. Pressefreiheit und Öffentlichkeit hängen folglich zusammen.
Doch die Pressefreiheit gilt nicht nur für die Außenstehenden, die eine Behörde untersuchen, sondern auch für diejenigen, die in den Behörden tätig sind. Alle in den Behörden Beschäftigten haben ein Recht auf Pressefreiheit. Diese Art der Freiheit nennt man oft Informationsfreiheit.
Die Informationsfreiheit beinhaltet, dass öffentliche Beamte in Schweden immer mit Journalisten sprechen, Leserbriefe und Artikel usw. abfassen dürfen, selbst wenn sie darin die eigene Behörde kritisieren. Grundsätzlich muss die Schweigepflicht gewahrt bleiben, doch räumt die Informationsfreiheit auch das Recht ein, in gewissen Fällen die Schweigepflicht zu brechen.
Wer unter Wahrung der Anonymität mit einem Vertreter der Medien sprechen möchte, erhält für seine Anonymität einen starken rechtlichen Schutz, auch Schutz der Informationsquelle genannt. Auch dieser Schutz ist im Grundgesetz festgelegt und hat eine starke rechtliche Verankerung.
Die Informationsfreiheit gibt es schon seit langem, wenn auch unter anderer Bezeichnung. So schrieb man 1912 beispielsweise in einem Untersuchungsbericht:
»Die fortlaufende Selbstüberprüfung, die von der Gesellschaft benötigt wird, sollte vor allem in einer Gesellschaft wie der unsrigen mit unseren begrenzten Methoden und unserem Volk einen effizienten Anonymitätsschutz nicht missen können. Die Rücksicht auf die soziale Umgebung: Familie, Vorarbeiter, Kameraden, Geschäftsverbindungen usw. und die Furcht vor den von dort ausgehenden geistigen oder wirtschaftlichen Unbilden üben bei uns einen übermächtigen Druck auf das Recht auf freie Meinungsäußerung des Einzelnen aus.
Offensichtlich bedeutet die demokratische Entwicklung, gleich wohin die Gesellschaft tendiert, keine Veränderung dieser Art, sondern eher das Gegenteil. Falscher »Corpsgeist« und falsches »Solidaritätsgefühl« bleiben weiterhin für die Gemeinschaft schädliche Faktoren. Gegen diesen Druck ist der Schutz der Anonymität ein Sicherheitsventil, welcher als einziger in vielen Fällen Aussagen ermöglicht, die gemacht werden müssen, und dass Tatsachen bekannt gegeben werden, die bekannt gegeben werden müssen.«
Die Informationsfreiheit bedeutet demnach, wie schon oben erwähnt, dass auch der einer Schweigepflicht Unterliegende unter bestimmten Umständen diese Schweigepflicht brechen darf. Dieses Recht gilt, wenn die Information an die Medien oder einen Schriftsteller gehen, um sie zu veröffentlichen oder auf andere Weise im publizistischen Zusammenhang zu verwenden.
Diesem »Recht auf Freigabe von Information« liegt die Flexibilität der Geheimhaltungsvorschriften zugrunde. Dadurch erhält jeder, der Zugang zu den Informationen in den Behörden hat, eine gewisse Freiheit, die vor allem an die Medien weitergegebene Information zu beurteilen. Das Geheimhaltungsgesetz wird absichtlich gelockert, damit Belange, die öffentlich diskutiert werden sollten, nicht der Vertraulichkeit unterworfen werden.
Diese Informationsfreiheit trifft nicht auf alle Fragen der Geheimhaltung zu. So gilt das Recht nicht für die Herausgabe von Akten, sondern nur für die mündliche Erteilung von Auskünften. Ferner gilt es nicht für die sogenannte qualifizierte Vertraulichkeit. Das bedeutet, dass die Vertraulichkeit, die die Interessen des Einzelnen schützt, meist qualifiziert ist; die Informationsfreiheit gilt dann nicht. Hingegen trifft die Informationsfreiheit dann zu, wenn die Vertraulichkeit zum Schutz von allgemeinen Interessen eingerichtet wurde. Dies ist jedoch nur ein Ausgangspunkt. Die Grenzen zwischen der qualifizierten Vertraulichkeit und derjenigen, die der Informationsfreiheit weicht, werden im Geheimhaltungsgesetz gezogen.
Die Informationsfreiheit dient als »Sicherheitsventil«. Sie überläßt es dem Gewissen des einzelnen Beamten zu entscheiden, welche Information im Rahmen der Informationsfreiheit weitergegeben werden kann. Eine Pflicht auf Nutzung der Informationsfreiheit besteht nicht; es heißt ja auch Informationsfreiheit und nicht Informationspflicht.
In der Praxis kann die Informationsfreiheit beliebig angewendet werden. Es bedarf keines »guten Zwecks«. Die Vorschriften schützen auch den Beamten, der für die von ihm gegebene Auskunft bezahlt wird oder in eigenem Interesse »mitteilt« und vielleicht der Behörde, bei der er tätig ist, sogar Schaden zufügt. Eine Behörde kann gegen diese Nutzung der Informationsfreiheit wenig unternehmen.
Wer von seinem Recht auf Informationsfreiheit Gebrauch gemacht hat, darf von den Behörden nicht belangt werden. Es herrscht ein sogenanntes Nachforschungsverbot. Besteht ein Verdacht auf eine Straftat, d.h. die Grenzen der Informationsfreiheit wurden überschritten, darf nachgeforscht werden. Doch die Behörden dürfen dies nicht selbst tun, sondern müssen sich an den Justizkanzler wenden, der als alleiniger Staatsanwalt bei Verstößen gegen die Informationsfreiheit ermitteln darf.

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Die Zukunft des schwedischen Öffentlichkeitsgrundsatzes

Die Wurzeln des Öffentlichkeitsgrundsatzes sind genauso alt wie die der schwedischen Pressefreiheit. Sie gehen auf das erste Pressegesetz aus dem Jahre 1766 zurück. Diese Freiheit wurde damals als die demokratisch am weitestgehende angesehen, doch war sie keineswegs einzigartig. Die britische Gesetzgebung auf diesem Gebiet erfolgte fünfzig Jahre früher, war aber weniger radikal. Und fünfundzwanzig Jahre später erhielten auch die Vereinigten Staaten von Amerika eine Pressefreiheit, im Rahmen des »First Amendment« der Verfassung.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz von heute ist jedoch als Rechtsinstrument wesentlich ausgereifter und effizienter als das Embryo, das vor über zweihundert Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Die schwedischen Gerichte und insbesondere der Ombudsmann des schwedischen Reichstags haben in ihrer Praxis den Grundsatz der Öffentlichkeit in einer rechtlich sehr fortschrittlichen Weise weiterentwickelt. Schwedische Behörden und Beamte waren nicht immer von dieser Vorschrift begeistert. Wie alle großen Organisationen neigen auch die Behörden vielmehr dazu, sich von der Außenwelt abzukapseln. Einzelne Amtsinhaber können manchmal der Meinung sein, der Allgemeinheit und den Interessen der Medien werde zu viel Rücksicht geschenkt. Doch die Tatsache, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz Bestand hat und weiterentwickelt wurde, beruht darauf, dass er von einem starken formellen Regelsystem geschützt wird, an dem die Gerichte festhalten. Doch selbst in Schweden ist der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht unumstritten; manche meinen, er sei störend, ja unbequem.
Vor dem Referendum über den Beitritt Schwedens zur EU gehörte die Zukunft des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer der wichtigsten Fragen. Da in den meisten Mitgliedsländern keine ähnliche Rechtstradition vorhanden ist, befürchteten viele Schweden eine Aufweichung der schwedischen Offenheit zugunsten einer Integration in die europäische Rechtsgemeinschaft. Andere wiederum wiesen darauf hin, dass sich die Europäische Union hin zu einer offeneren Gemeinschaft entwickelt.
Im Beitrittsvertrag Schwedens gibt es eine besondere Erklärung zum Grundsatz der Öffentlichkeit. Die Vorschriften des Öffentlichkeitsgrundsatzes werden als grundlegend für das »konstitutionelle, politische und kulturelle Erbe Schwedens« bezeichnet. Die Europäische Union konterte mit einer eigenen Erklärung, in der der schwedische Standpunkt zur Kenntnis genommen wurde, gleichzeitig aber auch vorausgesetzt wurde, dass Schweden als Mitgliedsland die Vorschriften der Gemeinschaft befolgen würde. In rechtlicher Hinsicht bleibt abzuwarten, wie ein aus beiden Erklärungen hervorgegangenes Kräftemessen aussehen wird. Wenn die Entwicklung der EU zu mehr Offenheit schneller voranschreitet, kommt es vielleicht nie zu diesem Kräftemessen.
In Schweden ist vor allem der Verband schwedischer Journalisten an der Stellung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in der EU interessiert, vor allem was die rechtlichen Instanzen der Gemeinschaft angeht. Doch sollte hervorgehoben werden, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht nur ein berufliches Werkzeug der Journalisten ist. Sein Grundgedanke ist die direkte Einsichtnahme durch den Bürger. Dies ist genauso wie die Pressefreiheit eine Freiheit für alle Bürger, und nicht nur für die Medien.
Hört man vom schwedischen Grundsatz der Öffentlichkeit, traut man oft seinen Ohren nicht – funktioniert diese Offenheit tatsächlich in der Praxis? Die Frage wurde mir oft im Ausland gestellt. Tatsache ist, dass er funktioniert, sogar gut funktioniert.
Selbstverständlich gibt es, wie schon oben erwähnt, von Seiten der Behörden und Beamten manchmal Widerstand gegen diese vorgeschriebene Offenheit. Doch die Vorschriften sind so deutlich abgefaßt, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht nachgegeben wird. Viele Schweden sind auch stolz auf ihren Grundsatz der Öffentlichkeit, den sie als einen der wichtigsten Grundsteine der Demokratie ansehen.

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Text: Hans-Gunnar Axberger; Svenska Institutet, Stockholm;
Übersetzung: Barbro Wollberg