Autoren : Andrea Mocellin, Katrin Pötzsch
Letztes Frühstück mit dem Enkelkind. Heute wird das Jugendamt
den Großeltern das Kind wegnehmen. Seit seiner Geburt lebt der
behinderte Sechsjährige bei seinen Großeltern. Ihnen wird
vorgeworfen, sie seien mit dem Kind überfordert, würden es
nicht ausreichend fördern. Außerdem sei die Ursache einiger
blauer Flecken an seinem Körper ungeklärt. Tatsache ist: das
Kind ist hyperaktiv.
9 Uhr, Übergabe vor dem Jugendamt. Die angeblichen blauen
Flecken kann Elisabeth Sodies, Rechtsbeistand der Familie nicht
bestätigen:
Elisabeth Sodies: Das ist ein total ganz normaler Körper,
auch keine Rückstände oder sonst was. Ich war auch vergangene
Woche wieder da. Ich habe noch nie Striemen gesehen oder sonst
was, sonst hätte ich den Fall auch gar nicht angenommen oder
hätten wir uns der Sache nicht angenommen. Denn es gibt schon
einige Kinder, die geschützt werden müssen. Das ist gar kein
Thema. Aber nicht aus gesunden Familien herausreißen."
Quälendes Warten vor dem Jugendamt. Plötzlich erscheint der
Bürgermeister höchstpersönlich mit einem
Jugendamtsmitarbeiter. Er versucht die Großmutter zur Herausgabe
des Kindes zu bewegen. Vor den Augen des Kindes wird hin und her
diskutiert. Das Kind möchte bei seiner Oma bleiben. Angeblich
sind die Großeltern gefährlich für das Kind. Doch dann
schwenkt der Bürgermeister um.
Der Großvater sagt: Wir wissen gar nicht, was los ist, ich
habe nichts verstanden. Das ist so was von schlimm.
Obwohl im Gerichtsbeschluss nichts über eine sofortige
Herausnahme des Kindes steht, schiebt der Bürgermeister die
Verantwortung auf das Gericht.
Ulrich Janssen, Bürgermeister Stadt Geldern: Wir haben
hier ja ein Verfahren, an dem das Vormundschaftsgericht ja
beteiligt ist und das Vormundschaftsgericht kennt
selbstverständlich die Akten und die Sachverhalte. Und hat hier
eine Wertung vorgenommen und eine Entscheidung getroffen, da ist
das Jugendamt jetzt auch gehalten, dies zu respektieren und
danach zu handeln."
Im Internet häufen sich die Anklagen gegen deutsche
Jugendämter. Machtmissbrauch und Willkür sind die häufigsten
Vorwürfe. In der Zwickmühle zwischen der Sorge um verwahrloste
Kinder und rein erzieherischer Unterstützung, führt bei
Jugendamtsmitarbeiter oft zu Überreaktionen. Mehrere Fälle von
Kindesentzug landeten daher vor dem Europäischen Gerichtshof
für Menschrechte. Und dieser verurteilte Deutschland zu
Schadenersatzzahlungen.
Wir treffen Heribert Giebels. Er war zwanzig Jahre lang im
Jugendamt tätig und kritisiert das System:
Heribert Giebels: Das deutsche Jugendamt ist die Behörde,
die ihresgleichen sucht in Europa. Es ist also die Behörde, die
also ganz massiv in die Grundrechte von Menschen, insbesondere
von Familien und Kindern eingreift. Aber es gibt keine
übergeordnete Behörde, die das Jugendamt auch
kontrolliert."
report MÜNCHEN liegt exklusiv ein Schreiben vor, in dem ein
Kreisjugendamt seinen Mitarbeitern Straffreiheit garantiert.
Auch Romana Krämer wurde das Sorgerecht entzogen und das Kind in
eine Pflegefamilie gebracht. Vorwurf: sie sei psychisch krank und
schade dem Kind. Mittlerweile gibt es ein Universitätsgutachten,
das Romana Krämer für gesund erklärt. Kein Trost für die
Tochter:
Romana Krämer: Sie ist mehr krank als vorher. Sie hat
immer Fieber gehabt, gerade die erste Zeit ging es ihr gar nicht
gut. Sie will halt heim in ihr Zimmer, fragt auch immer nach
ihren Freunden. Da hat sie auch keinen Kontakt, auch zu den
Großeltern, man hat ihr auf einen Schlag alles genommen, wie
nach einem Bombenangriff.
Doch die Gegenseite lässt nicht locker, verlangt ein weiteres
Gutachten. Plötzlich ist von den ersten Vorwürfen nicht mehr
die Rede, nun heißt es stattdessen: gestörtes
Mutter-Kind-Verhältnis.
Romana Krämer: Sie wartet jetzt ab, wie der Richter
entscheidet, wo sie hin darf. Und ob sie als Kind dann noch nach
Hause darf. Das hat sie auch gesagt: 'Mama ich will noch als Kind
heim und nicht erst, wenn ich erwachsen bin.'
Ohne richterlichen Beschluss, ohne Ankündung, rein aus Verdacht
holen Vormund und Jugendamt das Kind aus dem Kindergarten. Eine
Freundin der Mutter hat das brutale Vorgehen miterlebt.
Martina Franke: Sie hatte Angst, sie wollte gar nicht mit.
Ich habe gemerkt, sie war am stocken beim Gehen. Sie wollte auch
nicht hingehen und war einfach wirklich wie ein eingeschnürtes
Paket stand sie vor mir und konnte überhaupt keine Gefühle mehr
zeigen. Nur noch die Trauer in ihren Augen konnte ich sehen. Und
ich konnte nicht helfen."
Drei Stunden hat nun Ramona Krämer mit ihrem Kind. Alle zwei
Wochen unter Aufsicht. Die Gegenseite lehnt jegliche
Stellungnahme ab.
Beim Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments gab es
allein in den letzten zwei Jahren über 20 Eingaben Betroffener.
Jetzt sollen die deutschen Jugendämter überprüft werden:
Inés Ayala Sender, Petitionsausschuss EP: Die Deutschen
haben erkannt, dass es in einigen Fällen eine unprofessionelle
Betreuung durch Jugendamtsmitarbeiter gegeben hat. Wir wissen
auch vom Vertreter Deutschlands bei der Europäischen Union, dass
man eine bessere Ausbildung sucht. Bei einigen Jugendämtern wird
die mangelnde Ausbildung mit fehlenden Geldern erklärt. Das ist
für uns inakzeptabel, wenn es um die fundamentalen Rechte von
EU-Bürgern geht.
Die Großeltern Thiel dürfen ihr Enkelkind nun plötzlich bis
zur Anhörung behalten. Anscheinend sind sie doch nicht so
gefährlich.
Quelle: Text: http://www.karin-jaeckel-autorin.de/offenebriefe/Bayerischer Rundfunk.pdf, Video: http://www.youtube.com/watch?v=XNkvvI9l_VA, http://www.myvideo.de/watch/2613965
[Familienrecht] [Petitionen] [Menschenrechte in Deutschland] [Patientenrechte in Europa] [Informationsfreiheit] [Rechtsberatungsgesetz] [Homepage]