22.10.07: ARD Sendung "Kindesentzug auf Verdacht- Die unkontrollierte Macht der Jugendämter"

Autoren : Andrea Mocellin, Katrin Pötzsch

Letztes Frühstück mit dem Enkelkind. Heute wird das Jugendamt den Großeltern das Kind wegnehmen. Seit seiner Geburt lebt der behinderte Sechsjährige bei seinen Großeltern. Ihnen wird vorgeworfen, sie seien mit dem Kind überfordert, würden es nicht ausreichend fördern. Außerdem sei die Ursache einiger blauer Flecken an seinem Körper ungeklärt. Tatsache ist: das Kind ist hyperaktiv.

9 Uhr, Übergabe vor dem Jugendamt. Die angeblichen blauen Flecken kann Elisabeth Sodies, Rechtsbeistand der Familie nicht bestätigen:

Elisabeth Sodies: „Das ist ein total ganz normaler Körper, auch keine Rückstände oder sonst was. Ich war auch vergangene Woche wieder da. Ich habe noch nie Striemen gesehen oder sonst was, sonst hätte ich den Fall auch gar nicht angenommen oder hätten wir uns der Sache nicht angenommen. Denn es gibt schon einige Kinder, die geschützt werden müssen. Das ist gar kein Thema. Aber nicht aus gesunden Familien herausreißen."

Quälendes Warten vor dem Jugendamt. Plötzlich erscheint der Bürgermeister höchstpersönlich mit einem Jugendamtsmitarbeiter. Er versucht die Großmutter zur Herausgabe des Kindes zu bewegen. Vor den Augen des Kindes wird hin und her diskutiert. Das Kind möchte bei seiner Oma bleiben. Angeblich sind die Großeltern gefährlich für das Kind. Doch dann schwenkt der Bürgermeister um.

Der Großvater sagt: „Wir wissen gar nicht, was los ist, ich habe nichts verstanden. Das ist so was von schlimm.“

Obwohl im Gerichtsbeschluss nichts über eine sofortige Herausnahme des Kindes steht, schiebt der Bürgermeister die Verantwortung auf das Gericht.

Ulrich Janssen, Bürgermeister Stadt Geldern: „Wir haben hier ja ein Verfahren, an dem das Vormundschaftsgericht ja beteiligt ist und das Vormundschaftsgericht kennt selbstverständlich die Akten und die Sachverhalte. Und hat hier eine Wertung vorgenommen und eine Entscheidung getroffen, da ist das Jugendamt jetzt auch gehalten, dies zu respektieren und danach zu handeln."

Im Internet häufen sich die Anklagen gegen deutsche Jugendämter. Machtmissbrauch und Willkür sind die häufigsten Vorwürfe. In der Zwickmühle zwischen der Sorge um verwahrloste Kinder und rein erzieherischer Unterstützung, führt bei Jugendamtsmitarbeiter oft zu Überreaktionen. Mehrere Fälle von Kindesentzug landeten daher vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschrechte. Und dieser verurteilte Deutschland zu Schadenersatzzahlungen.

Wir treffen Heribert Giebels. Er war zwanzig Jahre lang im Jugendamt tätig und kritisiert das System:

Heribert Giebels: „Das deutsche Jugendamt ist die Behörde, die ihresgleichen sucht in Europa. Es ist also die Behörde, die also ganz massiv in die Grundrechte von Menschen, insbesondere von Familien und Kindern eingreift. Aber es gibt keine übergeordnete Behörde, die das Jugendamt auch kontrolliert."

report MÜNCHEN liegt exklusiv ein Schreiben vor, in dem ein Kreisjugendamt seinen Mitarbeitern Straffreiheit garantiert.

Auch Romana Krämer wurde das Sorgerecht entzogen und das Kind in eine Pflegefamilie gebracht. Vorwurf: sie sei psychisch krank und schade dem Kind. Mittlerweile gibt es ein Universitätsgutachten, das Romana Krämer für gesund erklärt. Kein Trost für die Tochter:

Romana Krämer: „Sie ist mehr krank als vorher. Sie hat immer Fieber gehabt, gerade die erste Zeit ging es ihr gar nicht gut. Sie will halt heim in ihr Zimmer, fragt auch immer nach ihren Freunden. Da hat sie auch keinen Kontakt, auch zu den Großeltern, man hat ihr auf einen Schlag alles genommen, wie nach einem Bombenangriff.“

Doch die Gegenseite lässt nicht locker, verlangt ein weiteres Gutachten. Plötzlich ist von den ersten Vorwürfen nicht mehr die Rede, nun heißt es stattdessen: gestörtes Mutter-Kind-Verhältnis.

Romana Krämer: „Sie wartet jetzt ab, wie der Richter entscheidet, wo sie hin darf. Und ob sie als Kind dann noch nach Hause darf. Das hat sie auch gesagt: 'Mama ich will noch als Kind heim und nicht erst, wenn ich erwachsen bin.'“

Ohne richterlichen Beschluss, ohne Ankündung, rein aus Verdacht holen Vormund und Jugendamt das Kind aus dem Kindergarten. Eine Freundin der Mutter hat das brutale Vorgehen miterlebt.

Martina Franke: „Sie hatte Angst, sie wollte gar nicht mit. Ich habe gemerkt, sie war am stocken beim Gehen. Sie wollte auch nicht hingehen und war einfach wirklich wie ein eingeschnürtes Paket stand sie vor mir und konnte überhaupt keine Gefühle mehr zeigen. Nur noch die Trauer in ihren Augen konnte ich sehen. Und ich konnte nicht helfen."

Drei Stunden hat nun Ramona Krämer mit ihrem Kind. Alle zwei Wochen unter Aufsicht. Die Gegenseite lehnt jegliche Stellungnahme ab.

Beim Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments gab es allein in den letzten zwei Jahren über 20 Eingaben Betroffener. Jetzt sollen die deutschen Jugendämter überprüft werden:

Inés Ayala Sender, Petitionsausschuss EP: „Die Deutschen haben erkannt, dass es in einigen Fällen eine unprofessionelle Betreuung durch Jugendamtsmitarbeiter gegeben hat. Wir wissen auch vom Vertreter Deutschlands bei der Europäischen Union, dass man eine bessere Ausbildung sucht. Bei einigen Jugendämtern wird die mangelnde Ausbildung mit fehlenden Geldern erklärt. Das ist für uns inakzeptabel, wenn es um die fundamentalen Rechte von EU-Bürgern geht.“

Die Großeltern Thiel dürfen ihr Enkelkind nun plötzlich bis zur Anhörung behalten. Anscheinend sind sie doch nicht so gefährlich.

 

Quelle: Text: http://www.karin-jaeckel-autorin.de/offenebriefe/Bayerischer Rundfunk.pdf, Video: http://www.youtube.com/watch?v=XNkvvI9l_VA, http://www.myvideo.de/watch/2613965

 

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