An
Herrn MR Stephan Jaud
Innenministerium Baden-Württemberg
Sehr geehrter Herr Jaud,
ich beziehe mich auf Ihren Beitrag "Handlungsfähigkeit
bewahren durch Open Government – aus der Praxis des Landes
Baden-Württemberg" bei der GfP-Jahrestagung
2013, in dem Sie mit Recht darauf hinweisen, dass ein "Offener Prozess
gerade bei der Erarbeitung dieses (Informationsfreiheits-)Gesetzes wohl
ratsam" ist.
Zum Schluss des Vortrages schreiben Sie "Ich freue mich auf die Diskussion
mit Ihnen!".
Ich hoffe der Direktor der "OECD Public Governance and Territorial
Development Directorate, OECD, Paris" Dr. Rolf Alter, konnte in seinem
Vortrag "The
Call for Innovative and Open Government" für die bei der Konferenz bei
Vorträgen nicht repräsentierten Bürger und NGOs sprechen. Jedenfalls deuten
seine E-Mails darauf hin.
Das Bundesinnenministerium hat alle Deutschen eingeladen
ein Informationsfreiheitsgesetz des Bundes zu diskutieren. Da ich das sehr
begrüsst
habe, Recht studierte und über praktische (Graswurzel-)Erfahrungen aus
Norwegen verfüge, wurde dadurch mein Interesse geweckt.
Zwar hat Baden-Württemberg noch keine Erfahrungen mit
Informationsfreiheitsgesetzen, aber in Schweden wurde der
Informationszugang zu amtlichen Dokumenten vor mehr als 240 Jahren (inspiriert
von Chinas Tang Dynastie des 7. Jahrhunderts) "erfunden". In Deutschland
beschrieb 1830 Carl
Gustav Jochmann den Gedanken der Öffentlichkeit
der Verwaltung. Leider wurden Demokraten damals als Demagogen
verunglimpft und von der fürst- und königlichen Polizei als Umstürzler
verfolgt. Andere Könige in Europa akzeptierten demokratische Rechte im
Rahmen konstitutioneller Monarchien. Die (Welt-)Geschichte hat Jochmann
Recht gegeben: Inzwischen haben mehr als 125
Staaten (https://www.rti-rating.org/country-data/)
mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern, d. h. 84% der Weltbevölkerung
entweder Informationsfreiheitsgesetze oder entsprechende
Verfassungsbestimmungen.
Trotzdem lassen sich Verwaltungen in aller Welt sich nicht gerne in die
Karten schauen und versuchen deshalb die allgemeine Akteneinsicht zu
erschweren. Dabei beziehe ich mich auch auf mehr als 240
Jahre Erfahrung mit der Informationsfreiheit in Schweden. Trotzdem
hat die schwedische Verwaltung ihren Widerstand
nicht aufgegeben. Das schwedische Parlament kommt zum Ergebnis, dass
man streng sein muss: "Doch die Vorschriften sind so deutlich
abgefasst, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und
die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht
nachgegeben wird".
So geht das heute in Skandinavien, das den Informationszugang zu amtlichen
Dokumenten vor mehr als 240 Jahren entwickelte:
- Unter Berücksichtigung des Datenschutzes sind Beschreibungen aller
Dokumente der norwegischen Staatsverwaltung der letzten 2 Jahre suchbar
(siehe: oep.no
http://www.oep.no/nettsted/fad/OM-OEP.html?lang=en
) im Internet veröffentlicht. Journalisten hatten diese
Möglichkeit schon seit etwa 20 Jahren.
- Der Antragsteller sucht, findet und bestellt elektronisch die
Dokumentnummer, die Behörde hat wenig Arbeit das innerhalb von 1 bis 3 Tagen elektronisch
zuzusenden. Das kostet für den Antragssteller nichts.
- Diese Vereinfachung für Antragssteller und Verwaltung trägt Früchte:
ca. 3 385 Anfragen pro 100.000 Einwohner pro Jahr ( http://wkeim.bplaced.net/files/Norway_number_of_requests.html
). In Deutschland werden weniger als 4 Anfragen pro 100.000 Einwohner
pro Jahr bearbeitet.
- In Schweden werden Aktenpläne mit allen Dokumenten herausgegeben, die
Antwort mit den gewünschten Dokumenten sollte innerhalb 24 Stunden
gegeben werden. 99 % der Antragsteller sind Journalisten. ( http://wkeim.bplaced.net/files/Broschard-Exkurs_schwedische_Verwaltungspraxis.html
) Norwegen operiert mit 1 bis 3 Tagen Antwortfrist. Nach 5
Arbeitstagen kann wegen Untätigkeit beim (kostenlosen) Ombudsmann
geklagt werden.
Sowohl das Hamburger Transparenzgesetz als auch der SPD Vorschlag
"Informationsgesetz 2.0" (BT
Drucksache 17/13467, 14. 05. 2013) enthalten Inhaltsverzeichnisse der
veröffentlichten Dokumente. In Norwegen sind auch die Metadaten aller
Dokumente staatlicher Verwaltungen seit 20 Jahren für Journalisten und seit
2 Jahren für alle Bürger zugänglich. Dies vereinfacht auch die Arbeit der
Verwaltung sehr: Der Antragsteller findet selber die Dokumentnummer, die es
der Verwaltung einfach macht eine schnelle kostenfreie elektronische
Zusendung zu ermöglichen.
Ich hoffe Ihrem Wusch gemäß zu einer Diskussion beigetragen zu haben.
Mit freundlichen Güssen aus Norwegen
--
--
Walter Keim
Netizen: http://walter.keim.googlepages.com
UN Universal Periodic Review (UPR):
http://wkeim.bplaced.net/files/foi-upr-de.htm#result
Will CoE Support the Human Right of Access to Information
in Germany? http://t.co/AavLgnOnz2
Will OSCE Support the Human Right of Access to Information
in Germany by Commenting ATI Laws?: http://t.co/GmQy9V0U
Is it possible to enforce access to information in Bavaria?
http://wkeim.bplaced.net/files/enforce_access_to_information.html
Antwort:
Internet:
- Allgemeine Kommentar (Nr. 34) des Menschenrechtsausschuss der
Vereinten Nationen am 21. Juli 2011 zu Artikel 19 des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR): http://merlin.obs.coe.int/iris/2011/10/article1
(Das Recht auf Zugang zu behördlichen Informationen wird detailliert
betrachtet; um diesem (Menschen-)Recht Nachdruck zu verleihen, werden
Staaten ermutigt, „staatliche Informationen von öffentlichem Interesse
proaktiv öffentlich zu machen“. Staaten sollten ebenfalls „alle
Anstrengungen unternehmen, einen einfachen, schnellen, effektiven und
praktikablen Zugang zu solchen Informationen sicherzustellen, (z. B. mit
Hilfe von Informationsfreiheitsgesetzen)“.)
- Zehnte gemeinsame Erklärung der vier internationalen
Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit (UN, OAS, OSCE,
ACHPR) vom 3. Februar 2010: http://merlin.obs.coe.int/iris/2010/5/article1
("Obwohl in den letzten zehn Jahren große Fortschritte bei der
Anerkennung des Rechts auf Information erzielt wurden, bleibt hier - als
vierte Herausforderung - noch viel zu tun... Viele Gesetze (zum Recht
auf Information), die verabschiedet wurden, genügen den internationalen
Mindeststandards nicht, und die Bemühungen, sie umzusetzen, sind in
vielen Ländern zu gering.)
- Online-Artikel.de (11.07.2013): Wer ist für Mängel bei
Transparenz und Informationsfreiheit verantwortlich? http://www.online-artikel.de/article/herausforderungen-fuer-die-presse-2013-bei-informationsfreiheit-125092-1.html
Anlage: CDU/CSU regierte Bundesländer sind der Schandfleck bezüglich der
Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün:
Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur
in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law =
Informationsfreiheitsgesetz.