Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich (BVerfGE 40, 296 <327>)
in English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/foi-ccpr-de.htm
Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den ca. 26. 1. 2011
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Husarenstraße 30,
D-53117 Bonn
Bezug: Aktenzeichen: IX-724/002
II#0083 Informationszugang BMVBS,
Eisenbahn-Bundesamt,
Rechnungshof (BRH)
Betreff: Informationszugang als Akt zivilgesellschaftlicher Notwehr um ein bisschen Demokratie zu verwirklichen
Sehr geehrter Herr Riemer,
ich danke Ihnen für Ihre Mitteilung vom 4.1.2011, Aktenzeichen: IX-724/002 II#0083 in der Sie mitteilen das BMVBS angeschrieben zu haben.
Bisher ist weder vom BMVBS (26.10.10), Eisenbahn-Bundesamt (19.1.11, Anlage 11), Rechnungshof (24.01.11, Anlage 10) Akteneinsicht in Gutachten "Neubewertung der Nutzen-Kosten-Analyse der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm" gegeben worden. Die angegebene Internetadresse beim BMVBS enthält dieses Gutachten nicht. Der Brief von BRH-Vizepräsident Norbert Hauser an den Haushalts- und Verkehrsausschuss des Bundestages vom 8. November 2010 ist laut Presse eine Antwort auf die Behauptung der Regierung in der Öffentlichkeit, dass der BRH sein Einvernehmen zu den Finanzierungsverträgen für "Stuttgart 21" und die Neubaustrecke Wendlingen/Ulm gegeben habe. Das berührt also nicht Vertraulichkeit von Informationen und ist auch deshalb Teil der öffentlich rechtlichen Aufgaben des Bundesrechnungshofes (§ 1 IFG). Weder die bekannten geschätzten Gesamtkosten noch deren Fortschreibung geben Auskunft über die einzelnen Teilausschreibungen und sind deshalb keine Beeinflussung des Wettbewerbs. Die "Berücksichtigung der Belange des Antragsstellers" (§ 7 (5) IFG) erfordert die Prüfung von Schwärzung oder teilweise Herausgabe, die die Gesamtkosten transparent macht. Zeichnen sich die Ablehnungen durch Erfindungsreichtum bei Ablehnungsgründen aus? Wird das besonders deutlich, wenn zukünftige noch nicht existierende Dokumente bewertet werden? Kan der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit die Dokumente einsehen, um die Behauptungen des BRH zu prüfen? Passen überhaupt die Ablehnungsgründe zum Sachverhalt des Antrages? Die Eisenbahnüberführung über die Landstrasse L1214 soll für Baufahrzeuge während des Baus genutzt werden. Was für eine Nutzung ist vorgeshen, falls die Tunnels und damit die Neubaustrecke nicht gebaut werden? Wird das die Landwirtschaft sein? Seltsam, dass plötzlich diese Brücke nicht Teil der Neubaustrecke sein soll.
Dabei legte ich die Demokratieperspektive (Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich), Bürger- und Menschenrechtsperspektive (neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) den Anträgen auf Akteneinsicht zugrunde. Dazu kommt noch die Steuerzahlerperspektive:Schon 1979 hat die Parlamentarischen Versammlung des Europarates in der Empfehlung Nr. 854 (1979) betr. den Zugang der Öffentlichkeit zu Regierungsunterlagen und die Informationsfreiheit (Anlage 2) die "Auffassung (vertreten), daß die Steuerzahler, d. h. die Öffentlichkeit im allgemeinen, die öffentlichen Mittel aufbringen und daß sie deshalb in der Lage sein müßten, herauszufinden, wie diese öffentlichen Mittel in den Regierungsbehörden und -stellen verwendet oder verschwendet werden."
Es war eine Sternstunde des Parlamentarismus, dass die SPD und Grünen im Bundestag im Dezember 2004 einen eigenen Vorschlag für ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) einbrachten, obwohl die Regierung und Ministerialbürokratie (Die Zeit: Aufstand der Amtsschimmel) dagegen waren. Umso bedauerlicher ist es, dass heute die CDU/CSU nicht untertützt, dass der Bundestag über Stuttgart21/NBS Wendlingen-Ulm informiert wird (Anlage O). Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Bürger auffordert, sich über Stuttgart 21 zu informieren (Anlage S).
Der Bundesrechnungshof ist der Ansicht, dass beide Vorhaben sowohl Stuttgart 21 als auch die Neubaustrecke Wendlingen Ulm, aufgrund der überwiegenden Finanzierung durch den Bund tatsächlich als dessen Projekte einzustufen sind (Anlage M). Trotzdem verweigert die Bundesregierung dem Bundestag Auskunft über die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm mit Hinweis, dass es sich um ein Projekt der Bahn und Baden-Württemberg handle. In der Drucksache 17/3269 (Antwort auf kleine Anfrage) steht "Stuttgart 21 ist "ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB Bahn AG" (Anlage N). Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages sagt dazu: "Es ist eine Unverschämtheit, dass Parlamentarier über Steuergelder in Milliardenhöhe entscheiden, ohne entsprechende Daten zu haben“ (Anlage O). Da Baden-Württemberg seinen Bürgern und der Presse das Menschen- und Bürgerrecht des Informationszuganges zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung verwehrt, wird damit Intransparenz und Vertuschen möglich. Mit "Tricksen und täuschen" (Anlage P) wurde Stuttgart 21 beschlossen. Die Schlichtung sollte mit Offenheit und Transparenz das "Ende der Mogelei" sein (Anlage Q). Alle Fakten sollten "auf den Tisch kommen" (Anlage R) schienen allen Beteiligten einig zu sein. Allerdings ist es mehr als merkwürdig, dass ausgerechnet Volker Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU die Wähler dazu auffordert sich zu informieren (Anlage S): Die CDU/CSU verhindert Informationsfreiheitsgesetze in Bayern und Baden-Württemberg und ist dafür verantwortlich, dass die Opposition im Bund (und auch alle Abgeordnete der Regierung) im Bundestag nicht genügend informiert werden. Dabei sind Landtage durch mehrere Petitionen auf den Menschen- und Bürgerrechtscharakter der Informationsfreiheit aufmerksam gemacht worden (Anlage T).
"Am 11. Oktober 2004 versprach der CDU-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt in Stuttgart, Wolfgang Schuster, (...) dass ein Bürgerentscheid durchgeführt werden soll, (...). Trotzdem lehnte Schuster später als Oberbürgermeister eine Bürgerbefragung ab (...) . Im Herbst 2007 begannen Projektgegner Unterschriften zu sammeln, falls der Stuttgarter Gemeinderat nicht von sich aus einen Bürgerentscheid ansetzen würde. Schuster wurde darüber informiert und gebeten, mit weiteren Schritten zu warten, bis klar sei, ob ein Bürgerbegehren zustande komme. Dennoch unterschrieb er bereits am nächsten Tag einen Vertrag: Er schuf damit Fakten, die einen Bürgerentscheid verunmöglichten. Als das Bündnis der Gegner weit mehr als die erforderlichen 40 000 Unterschriften zusammenhatte, nützte dies nichts mehr" (Anlage X). Auch Volksabstimmungen, Volksentscheide, Bürger- oder Volksbegehren wurden abgelehnt. Gerichte rechtfertigten diese Ablehnung direkter Demokratie, z. B. das Verwaltungsgericht Stuttgart Az.: 7 K 3229/08.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 17.12.2010 unter der Überschrift: Wenn der Bürger nur stört: "Die Planung von Großprojekten hat weniger mit dem Abwägen von Argumenten zu tun, umso mehr aber mit der Durchsetzung von Macht" (Anlage Y). Verwaltungsrichter sind - im Gegensatz zu fast allen anderen EU Staaten - von der Exekutive angestellt, befördert und der Dienstaufsicht unterworfen (Anlage V). Damit fehlt die vom Grundgesetz geforderte Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte.
Auf dem Gebiet des Datenschutzes hat die EU Regeln für Unabhängigkeit. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Bundesrepublik Deutschland im Einklang mit einem Antrag der EU-Kommission für schuldig befunden, mit der in den Bundesländern vielfach gehandhabten Praxis der "staatlichen Aufsicht" über Instanzen zur Datenschutzkontrolle gegen EU-Recht verstoßen zu haben. In dem am 9.3.2010 verkündeten Urteil (Az. C-518/07) betont die Große Kammer, dass die EU-Datenschutzrichtlinie die "völlige Unabhängigkeit" der Arbeit der zuständigen Kontrollstellen vorschreibe. Leider hat die EU keine Direktiven für die Unabhängigkeit der Gerichte.
Die Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 sind sich nun einig, dass Offenheit und Transparenz notwendig sind um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Bahn versprach, künftig bei großen Vorhaben stärker den Austausch mit den Bürgern suchen. «Wir glauben, dass ein gesellschaftlicher Grundkonsens für Großprojekte nötig ist. Wir werden uns stärker öffnen und wollen deutlich mehr Transparenz», sagte Bahnvorstand Volker Kefer (Morgenpost, 30.11.2010: Geißler für Weiterbau von Stuttgart 21).
Aber wurden daraus auch alle notwendigen Konsequenzen gezogen? Aus der Sicht des Aktionsbündnisses wurde bei der Schlichtung das Ziel "Alle Fakten auf den Tisch" nicht erreicht. "Viele Unterlagen zum Projekt wurden gar nicht oder nur zu unannehmbaren Konditionen zur Verfügung gestellt" ( Anlage W).
Die Stuttgarter Nachrichten berichten am 07.11.2010, dass die Grünen ankündigten die Herausgabe der Angaben über Wirtschaftlichkeit notfalls über eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erzwingen „Es ist eine Unverschämtheit, dass Parlamentarier über Steuergelder in Milliardenhöhe entscheiden, ohne entsprechende Daten zu haben“ (Anlage 3). Am 10.11.2010 sagte MdB Hofreiter im Verkehrsausschuss des Bundestages, dass kein Abgeordneter die Wirtschaftlichkeitsberechnung sehen konnte (Anlage 4).
Mit der kleinen Anfrage Bundestag Drucksache 17/3766 datiert 11.11.2010 erstrebte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass die Bundesregierung – angesichts der klaren verfassungsrechtlichen Ausgangslage – das Informationsverlangen bezüglich Stuttgart 21 nunmehr unter Aufgabe ihrer bisherigen Haltung befriedigt (Anlage 5).Mit freundlichen Grüßen
Walter Keim
Kopie: Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), Bundeskanzleramt, Fraktionen im Bundestag, Schlichter Heiner Geißler, MdB Anton Hofreiter, MdB Winfried Hermann, Landtag Baden-Württemberg und Kopfbahnhof 21
Anlagen:
Im Internet publiziert:
Organisation | Name mit Link | Über- setzung |
Generalversammlung, 10.12. 1948 | Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: Artikel 19: ...Freiheit ... "Informationen (...) zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." | English |
Vereinte Nationen, 1966 | Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. (BGBl. 1973 II S. 1534) Artikel 19: Freiheit ... "Informationen (...) sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben." | English |
Europa UNECE, 1998 | United Nations Economic Commission for Europe: Umweltschutz: Die Aarhus Konvention: http://www.unece.org/env/pp/acig.htm | English |
COMMISSION ON HUMAN RIGHTS, 1998 | E/CN.4/1998/40, 28 January 1998: Promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression Report of the Special Rapporteur, Mr. Abid Hussain, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1997/26: III A | |
COMMISSION ON HUMAN RIGHTS, 2000 | E/CN.4/2000/63, 18 January 2000: Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, Mr. Abid Hussain, submitted in accordance with Commission resolution 1999/36: III B | |
UN Special Rapporteur, 2004 | 6. Dezember 2004: Gemeinsame Erklärung der drei Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit der UN-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung, der OSZE-Vertreter für Medienfreiheit und der OAS-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung: Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht | English |
Bundesregierung, 11.2.2011 | Deutschland möchte am 11.2.2010 das Menschenrecht des Zugangs auf Dokumente der öffentlichen Verwaltung und andere Menschenrechte streichen. Am 24.3.2011 (Seite 17 des Sitzungsprotokolls) lehnt das Menschenrechtskomitee den Antrag Deutschlands das Menschenrecht des Zugangs zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung zu entfernen (Paragraph 18 bis 20 Draft General Comment No. 34 on Article 19) ab. | |
General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR, 2010 |
Human Rights Committee - General Comments: "18. Article 19, paragraph 2 embraces a general right of access to information held by public bodies. Such information includes all records held by a public body.": http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/comments.htm | English |
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Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.