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Wird der Hessische Landtag den Gedanken des "Raums der Freiheit" (KOM (2002) 247) mit "Garantien für die Achtung (...) der Menschenrechte" in Europa siehe Agentur der Europäischen Union für Grundrechte COM(2005)280 fördern trotz der Verweigerung des Innenministeriums?

Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 2. 5. 2006


Hessischer Landtag
Landtagspräsident
Schlossplatz 1-3
D-65183 Wiesbaden

Betreff: Bietet das Hessische Innenministerium die Gewähr dafür sich jederzeit für das Menschenrecht der Informationsfreiheit einzusetzen?
Verabschiedung von einem Informationsfreiheitsgesetz   

 

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Kartmann,  

Ich danke Ihnen, dass meine Petition vom 20.9.06 (3496/16) über Informationsfreiheit als Material an die Regierung übersandt wurde.

Aus der Antwort des Hessischen Innenministeriums vom 20.6.06 ergibt sich leider, dass diese Vorschläge auf Ablehnung gestoßen sind. Das Ministerium teilt mit, dass "Bestrebungen der Landesregierung ein Informationsfreiheitsgesetz einzubringen, nicht bestehen". Dabei wird ein Bedarf verneint, die "Stärkung der Demokratie" als illusionär bezeichnet, Deutschlands Verpflichtung aus internationalen Verträgen bestritten und insbesondere der Menschenrechtscharakter totgeschwiegen.

Als Aktivist habe ich das "berechtigte Interesse" und die angesprochene Akteneinsicht nach § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ausprobiert. Am 11 Juli 2002 hat mich der Courrier Citoyen d'Europe des Europaparlaments darüber informiert, dass nach Artikel 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25.5.1976 Akteneinsicht möglich ist. Damit war die Idee der "Akteneinsichtserzwingungsklage" geboren. Die gute Nachricht ist, dass ich am 19. Oktober 2004 die Akten im deutschen Konsulat in Trondheim als Teil des Verfahrens VG 2 A 85.04: Walter Keim gegen Bundesrepublik Deutschland2 einsehen konnte. Die schlechte Nachricht ist, dass das € 770.- kostete, da das Verfahren verloren wurde, d. h. für 15 Kopien und den Antrag auf eine begründete Antwort innerhalb angemessener Zeit für eine Petition kosten € 770.-. Diese Klage ist inzwischen beim Europarat und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte4. Anlass zur Klage war, dass der Petitionsausschuss vorgab auf das BMI zu warten, während das BMI angab keine Anfrage entgegengenommen zu haben. Man möchte meinen, dass nur einen Blinder ein berechtigtes Interesse an Akteneinsicht übersieht. Aber sowohl das BMI, der Petitionsausschuss als auch das Verwaltungsgericht haben kein berechtigtes Interesse angenommen: Hat schon jemals ein Bürger Einsicht wegen berechtigtem Interesse bekommen?

Hessen war ein Pionier beim Datenschutz. Der erste Datenschutzbeauftragte Professor Simitis entwickelte auch den Gedanken, dass der Bürger nicht nur Zugang zu seinen eigenen Daten haben sollte (informationelle Selbstbestimmung) sondern auch Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung. Das folge daraus, dass die Meinungsfreiheit zuverlässige Informationen bedürfe. Dies hat sowohl das höchste Gericht in Indien, Japan und Südkorea so gesehen und den Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung aus der Meinungsfreiheit hergeleitet. Auch der jetzige Datenschutzbeauftragte in Hessen schlägt ein Informationsfreiheitsgesetz vor (Kapitel 2.1.2.2), "dass das Land Hessen wieder Anschluss an die Spitzengruppe der Länder findet, die den freien Informationszugang gewährleisten".

Hessen hat 1993 den Vorschlag gemacht, den Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung im Grundgesetz zu verankern. Dieser Vorschlag hat in der Verfassungskommission von Bund und Ländern im Jahre 1993 im Zuge der Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Wiedervereinigung schon eine Mehrheit erreicht, allerdings wurde die notwendige zweidrittel Mehrheit damals noch nicht erreicht (BT Drucksache 12/6000, Kapitel 3.4).

Auch Artikel 19 (2) des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534) enthält neben der Meinungsfreiheit die Freiheit "Informationen ... sich zu beschaffen" ("to seek information").

Im Bericht des UNHCR-Special Rapporteur, Mr. Abid Hussain, "Promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression", E/CN.4/1998/40, speziell Part III. A. The right to seek and receive information, fordert die Informationsfreiheit (inklusive Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) als Voraussetzung für die Meinungsfreiheit.

Dass sich das Recht auf die Informationssuche und -zugang auch auf Behörden bezieht, zeigt sich in folgendem UN-Bericht (UN Doc. E/CN.4/1999/64) von 1999. Darin heißt es eindeutig:

"[T]he Special Rapporteur expresses again his view, and emphasizes, that everyone has the right to seek, receive and impart information and that this imposes a positive obligation on States to ensure access to information, particularly with regard to information held by Government in all types of storage and retrieval systems - including film, microfiche, electronic capacities, video and photographs - subject only to such restrictions as referred to in article 19, paragraph 3, of the International Covenant on Civil and Political Rights."

Die Ausnahmen in Artikel 19 (3) IPbürgR rechtfertigen in keiner Weise Beschränkungen, wie sie in Hessen gelten:

Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind

a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer;
b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.

Dies ist der Hintergrund, dass die UN, OSZE und AOS in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004 bestätigen, dass die Informationsfreiheit ein Menschenrecht ist:

The right to access information held by public authorities is a fundamental human right which should be given effect at the national level through comprehensive legislation (for example Freedom of Information Acts) based on the principle of maximum disclosure, establishing a presumption that all information is accessible subject only to a narrow system of exceptions.

Beispielsweise werden bisher in Deutschland Gesetzesverstöße (Verkauf von Mogelpackungen) als Betriebsgeheimnis eingestuft. Der Beschluss des Oberverwaltungsgericht in Schleswig-Holstein (Beschluss 22. Juni 2005, Az: 4 LB 30/04): ""Weil der Verbraucherschutz kein Rechtsgut von Verfassungsrang ist, muss er grundsätzlich hinter von Art. 14 GG (Eigentumsrecht) geschützten Rechtspositionen zurücktreten und kann auch im vorliegenden Einzelfall die Belange der betroffenen Unternehmen nicht überwiegen." ist vom Bundesverwaltungsgericht BVerwG 3 B 126.05 bestätigt worden13. Das schwächt die Meinungsbildung des Verbrauchers: Er wird vom Obrigkeitsstaat für dumm verkauft.

Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft". Offensichtlich bietet das Innenministerium nicht die Gewähr dafür sich jederzeit für die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten einzusetzen. Auf eine Menschenrechtsverletzung mehr oder weniger1 kommt es wohl nicht an. Die Auflistung von Menschenrechtsverletzungen in der Anlage der Petition wurde total ignoriert.

In der EU wird sich die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (siehe COM(2005)280) der fundamentalen Rechte annehmen. Der Europarat arbeitet an einer bindenden Konvention zum Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat schon öfters Resolutionen verabschiedet in denen Länder aufgefordert wurden Informationsfreiheitsgesetze zu verabschieden.

In mehr als der Hälfte der mehr als 65 Staaten mit Informationsfreiheitsgesetzen ist die Informationsfreiheit auch in der Verfassung verankert. In mehr als 25 Ländern werden solche Gesetzentwürfe diskutiert. Darüber hinaus haben ca. 40 Staaten entsprechende Verfassungsgarantien ohne konkrete gesetzliche Ausformung. Auch in Deutschland war im Jahre 1993 in der Verfassungskommission von Bund und Ländern im Zuge der Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Wiedervereinigung dafür schon eine Mehrheit vorhanden, allerdings wurde die notwendige zweidrittel Mehrheit damals noch nicht erreicht (BT Drucksache 12/6000, Kapitel 3.4). Im Grundrechte-Report 2006 ist Transparenz nach dem (Bundes-)Informationsfreiheitsgesetz aufgenommen.

In Deutschland haben sowohl der Bund als auch 5 Bundesländer (Hamburg am 29.3.06) Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet. In den Bundesländern Saarland (Drucksache 13/758, 1.2.06), Mecklenburg-Vorpommern (erste Lesung 8.3.06), Bremen (Beratung März 2006) werden solche Gesetzentwürfe von Parlamentsmehrheiten unterstützt. Damit werden am Ende diese Jahres mindestens 8 von 16 Bundesländer Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet haben.

Verwaltungen in aller Welt wollen sich nicht gerne in die Karten schauen lassen und versuchen deshalb die allgemeine Akteneinsicht zu erschweren. Information bedeutet Macht. Dabei beziehe ich mich auch auf mehr als 200 Jahre Erfahrung mit der Informationsfreiheit in Schweden. Die schwedische Verwaltung hat ihren Widerstand nicht aufgegeben. Das schwedische Parlament kommt zum Ergebnis, dass man streng sein muss: "Doch die Vorschriften sind so deutlich abgefasst, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht nachgegeben wird". Mir scheint diese Frage ist geradezu ein Lackmustest, der das Kräfteverhältnis beschreibt und zeigt ob ein Parlament stark genug ist Bürgerrechte durchzusetzen.

Ein Informationsfreiheitsgesetz ist notwendig, damit Hessen den Anschluss an die zivilisierte Welt findet. Nach Artikel 20 GG geht "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" und die "vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an" (das von der gewählte Volksvertretung beschlossene) "Gesetz und Recht gebunden". Auf der Homepage des Hessischen Landtags steht: "Das Volk sagt, wo es lang geht – die Abgeordneten folgen". Dazu aber braucht das Volk Informationen. Das Parlament ist die gewählte Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger Hessens und das höchste Verfassungsorgan des Landes. Als gesetzgebende Gewalt ist der Landtag dafür verantwortlich, dass Hessischen Bürgern das Menschenrecht auf Informationsfreiheit vorenthalten wird und kann das durch einen eigenen Gesetzentwurf auch korrigieren.

Auch in Schleswig-Holstein, Berlin, im Bund und zuletzt am 29.3.06 durch die CDU Fraktion in Hamburg haben Parlamente eigene Gesetzentwürfe zur Informationsfreiheit verabschiedet, obwohl Regierungen keinen Entwurf ins Parlament einbrachten.

Während Hessen vor 40 Jahren ein Pionier des Datenschutzes war, hat die CDU diese Land zum Schlusslicht bei der Informationsfreiheit heruntergewirtschaftet: Ein Schandfleck international gesehen. Die CDU in Nordrhein-Westfahlen, Hamburg, Saarland und Bremen sind jedenfalls in der Lage gewesen Informationsfreiheitsgesetze zu verabschieden.

Mit freundlichen Grüßen

Walter Keim
Informationsfreiheitsgesetz ohne Wenn und Aber: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-anhoerung.htm
Wer lädt den Menschenrechtsbeauftragten des Europarats nach Deutschland ein:
http://wkeim.bplaced.net/files/coe-031128.htm 
Wird die OSZE die Informationsfreiheit fördern? :
http://wkeim.bplaced.net/files/osce-050106.htm

Kopie: Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), Innenministerium, Hessischer Datenschutzbeauftragter, Petitionsausschüsse der Bundesländer, Prof. Dr. iur. Hans Peter Bull

Anlage:

  1. Menschenrechtsverletzungen Deutschlands: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Informationsfreiheit und faires Verfahren: http://wkeim.bplaced.net/files/de_menschenrechte.htm
  2. Verwaltungssache VG 2 A 85.04 Keim gegen Bundesrepublik Deutschland: Einspruch gegen Gerichtsgebühren, da Sache beim EGMR eingeklagt wurde: http://wkeim.bplaced.net/files/vg-051112.htm
  3. 18.04.06: Bietet das Bundesverwaltungsgericht die Gewähr dafür sich jederzeit für Menschenrechte einzusetzen? Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwG 3 B 126.05
  4. Promotion of Human Rights in Germany: http://wkeim.bplaced.net/files/pace-complaint.htm, http://wkeim.bplaced.net/files/echr-complaint.htm
  5. Tabellarische Übersichten: Menschenrecht Informationsfreiheit im Bundesgesetzblatt (BGBl.): http://wkeim.bplaced.net/IFG.htm#Europarat 

Antworten:

 

 

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Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.

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