Einschreiben
Wie lange noch verschließt sich der Landtag in Niedersachsen bei der Informationsfreiheit dem Gedanken des "Raums der Freiheit" (KOM (2002) 247) mit "Garantien für die Achtung (...) der Menschenrechte" in Europa gemäß der Fundamental Rights Agency (COM(2005)280) ?
in English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-result.htm
Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 18. 1. 2007
Petitionsausschuss
Niedersächsischer Landtag
Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1
D-30159 Hannover
Betreff: Akteneinsicht Stellungnahme Petition
Verabschiedung von einem Informationsfreiheitsgesetz
Sehr geehrte Damen und Herren,
der niedersächsische Landtag hat zwar den Eingang meiner Petition vom 20.9.05 mit dem Vorschlag eines Informationsfreiheitsgesetzes unter der Nummer 25554/01/15 bestätigt, aber ich kann nicht sehen bisher eine Antwort bekommen zu haben. Diese Petition scheint bis heute nicht behandelt. Deshalb beantrage ich, mir die Stellungnahme der Regierung zur Petition 25554/01/15 zuzusenden:
Unter berechtigtem Interesse ist dabei jedes verständliche, durch die Sachlage berechtigte schutzwürdige Interesse zu verstehen, das rechtlicher aber auch wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. (Anlage 4)
Als im europäischen Raum der Freiheit wohnend möchte ich den Hintergrund hier so erklären:
Artikel 10 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte schützt die Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit. Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion), Rechtssache Sdrueni Jihoceské Matky gegen Tschechische Republik, Antrag Nr. 19101/03 vom 10. Juli 2006 wurde "eine ausdrückliche und unleugbare Anerkennung der Anwendung von Artikel 10 im Falle einer Verweigerung eines Antrags auf Zugang zu öffentlichen oder behördlichen Dokumenten enthält". Auch die Rechtssache GERAGUYN KHORHURD PATGAMAVORAKAN AKUMB v. ARMENIA: Antrag Nr. 11721/04 vom 11. April 2006 bestätigt diese Rechtsprechung. Mit der Rechtssache Keim gegen Deutschland beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Antrag Nr. 41126/05 versuche ich Deutschland auf den rechten Weg zu bringen. Artikel 46 (1) der EKMR lautet: "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen."
Die Informationsfreiheit (einschließlich des Zugangs zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) ist Teil der Meinungsfreiheit und auch durch international anerkannte Menschenrechte der VN speziell des Artikels 19 des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534) geschützt, der nach Art. 59 (2) GG in ein Bundesgesetz transformiert wurde neben der Meinungsfreiheit die Freiheit "(sich) Informationen ... zu beschaffen" ("to seek information") enthält.
In ca. 70 Staaten ist der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung in der Verfassung verankert. Weitere ca. 40 Staaten haben dieses Menschenrecht gesetzlich verankert. Damit ist diese Menschenrecht in mehr als die Hälfte der Staaten in der Welt realisiert das gemäß Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des Bundesrechts ist.
Artikel 19 (2) des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534) lautet:
(2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugehen.
Im Bericht des UNHCR-Special Rapporteur, Mr. Abid Hussain, "Promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression", E/CN.4/1998/40, speziell Part III. A. The right to seek and receive information, fordert die Informationsfreiheit (inklusive Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) als Voraussetzung für die Meinungsfreiheit.
Dass sich das Recht auf die Informationssuche und -zugang auch auf Behörden bezieht, zeigt sich in folgendem UN-Bericht (UN Doc. E/CN.4/1999/64) von 1999. Darin heißt es eindeutig:
"[T]he Special Rapporteur expresses again his view, and emphasizes, that everyone has the right to seek, receive and impart information and that this imposes a positive obligation on States to ensure access to information, particularly with regard to information held by Government in all types of storage and retrieval systems - including film, microfiche, electronic capacities, video and photographs - subject only to such restrictions as referred to in article 19, paragraph 3, of the International Covenant on Civil and Political Rights."
Die Ausnahmen in Artikel 19 (3) IPbürgR rechtfertigen in keiner Weise Beschränkungen, die diesen Antrag betreffen:
Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind
a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer;
b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.
Dies ist der Hintergrund, dass die UN, OSZE und AOS in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004 bestätigen, dass die Informationsfreiheit ein Menschenrecht ist:
The right to access information held by public authorities is a fundamental human right which should be given effect at the national level through comprehensive legislation (for example Freedom of Information Acts) based on the principle of maximum disclosure, establishing a presumption that all information is accessible subject only to a narrow system of exceptions.
Die deutsche Verwaltung und der deutsche Rechtsanwender ist über Art. 20 Abs. 3 GG ("die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden") an die transformierten Vorschriften des Völkerrechts gebunden. Aus der Vorschrift folgt übrigens auch die Pflicht, sich mit Inhalt und Auslegung dieser Vorschriften vertraut zu machen. Gem. Art. 19 Abs. 4 GG steht außerdem jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dies gilt nicht nur für Verletzungen der Grundrechte, sondern für alle in der deutschen Rechtsordnung geschützten Rechte. Somit erfasst die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch Fälle, in denen der Staat unmittelbar wirksame internationale Menschenrechtsnormen verletzt, die gem. Art. 59 Abs. 2 Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind.
Dies erstreckt sich nach der Entscheidung BVerfG 2 BvR 1481/04 des Verfassungsgerichtes (Punkt 3) auf alle staatlichen Organe: "Die Bindungswirkung einer Entscheidung des EGMR erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen." Dabei sind nicht nur einzelne Urteile, sondern die Rechtsprechung des EGMR einzubeziehen: "Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des EGMR einschlägig, so sind grundsätzlich die vom Gerichtshof in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung, namentlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen."
Auch in Deutschland ist das Verhältnis zwischen Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit im Wandel begriffen.
Die rechtliche Lage bezüglich der Informationsfreiheit vor der Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen gestaltete sich so:
Die Informationsfreiheit (Rezipientenfreiheit) ist im Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland garantiert (Art.5 Abs.1 S.1, 2.Hs GG).
"Allgemein zugänglich" sind dabei solche Informationsquellen, die
technisch geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71 - Leipziger Volkszeitung).
BVerfGE 103, 44 (61): "Legt der Gesetzgeber die Art der Zugänglichkeit
von staatlichen Vorgängen und damit zugleich das Ausmaß der Öffnung
dieser Informationsquelle fest, so wird in diesem Umfang zugleich der
Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet." Beispielsweise normiert
§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die ordentliche Gerichtsbarkeit
den Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit.
Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und von 8 Bundesländern
schafft einen solches "Jedermannsrecht" auf vorraussetzungslosen Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung.
Die Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen bedeutet einen Paradigmenwechsel aus dem folgende neue Situation (aus Anlage 4: Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit) entsteht:
"Wie bereits dargelegt begründet das Grundrecht auf Informationsfreiheit für sich genommen keinen Informationszugangsanspruch. Nur i. V. m. zusätzlichen rechtlichen Verpflichtungen amtlicher Stellen, Zugang zu bestimmten Informationsquellen zu gewähren, werden diese
Informationsquellen zu allgemein zugänglichen Quellen i. S. d. Art. 5 I
1, 2. Hs. GG. Verpflichtungen dieser Art sind insbesondere als
gesetzliche Konkretisierungen des Rechtsstaats- oder des
Demokratieprinzips denkbar (Vgl. BVerfGE 103, 44 (63 f.)). Als eine
ebensolche Ausformung ist die Verpflichtung zur Informationszugangsgewährung nach dem IFG anzusehen, womit eine
Verwehrung des Informationszugangsrechts durch eine verpflichtete Stelle
als Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit zu qualifizieren
wäre" (Vgl. BVerfGE 103, 44 (61).).Zusammenfassend ergibt sich folgendes Resultat: "Das IFG bedeutet die
Abkehr vom alten und morschen Grundsatz des allg. Amtsgeheimnisses,
das in Zeiten von Volksherrschaft und Informationsgesellschaft
einen krassen Anachronismus darstellte. Die Informations(zugangs)
freiheit ist die Grundlage der demokratischen Meinungsbildung und
das notwendige Gegenstück zur Meinungsfreiheit sowie zum Datenschutz".Quelle: Zitiert aus Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit: http://www.cloeser.org/pub/Amtsgeheimnis_und_Informationsfreiheit.pdf (Anlage 4)
Nachdem das IFG im Bund am 1.1.06 in Kraft trat verabschiedeten Hamburg (29.3.06), Bremen (11.5.06) und Mecklenburg-Vorpommern (27.6.06, Drucksache 4/2117) und das Saarland (12.7.06, Drucksache 13/758) Informationsfreiheitsgesetze. Damit haben 8 Bundesländer Informationsfreiheitsgesetze.
In Bundesländern ohne Informationsfreiheitsgesetz ist Informationszugangsgewährung nach der Rechtsprechung des EGMR als Verpflichtung anzusehen, die Dokumente der öffentlichen Verwaltung "Allgemein zugänglich" macht.
Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft". Ich hoffe der Landtag bietet endlich die Gewähr dafür sich jederzeit für die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten einzusetzen.
In der EU wird sich die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (siehe COM(2005)280) der fundamentalen Rechte annehmen. Der Europarat arbeitet an einer bindenden Konvention zum Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat schon öfters Resolutionen verabschiedet in denen Länder aufgefordert wurden Informationsfreiheitsgesetze zu verabschieden.
In mehr als der Hälfte der mehr als 65 Staaten mit Informationsfreiheitsgesetzen ist die Informationsfreiheit auch in der Verfassung verankert. In mehr als 25 Ländern werden solche Gesetzentwürfe diskutiert. Darüber hinaus haben ca. 40 Staaten entsprechende Verfassungsgarantien ohne konkrete gesetzliche Ausformung. Auch in Deutschland war im Jahre 1993 in der Verfassungskommission von Bund und Ländern im Zuge der Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Wiedervereinigung dafür schon eine Mehrheit vorhanden, allerdings wurde die notwendige zweidrittel Mehrheit damals noch nicht erreicht (BT Drucksache 12/6000, Kapitel 3.4). Im Grundrechte-Report 2006 ist Transparenz nach dem (Bundes-)Informationsfreiheitsgesetz aufgenommen.
Nachdem der Bundestagspräsident am 22.12.04 meine Petition "Obrigkeitsstaat durch Einführung der Informationsfreiheit überwinden" (Anlage 2) an den Bundeskanzler zur Berücksichtigung übersandt hat wurde vom Bundestag ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen, obwohl die Bundesregierung dagegen war. Danach waren 12 Petitionen an Bundesländer ohne Informationsfreiheitsgesetze (Anlage 3) zu schreiben. Im Jahre 2006 verabschiedeten daraufhin Hamburg (29.3.06), Bremen (11.5.06) und Mecklenburg-Vorpommern (27.6.06, Drucksache 4/2117) und das Saarland (12.7.06, Drucksache 13/758) Informationsfreiheitsgesetze. Sowohl der Petitionsausschuss von Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Rheinland-Pfalz als auch das Sozialministerium Baden-Württemberg, das Innenministerium in Hessen und sogar Bayern haben mir diese Stellungnahmen der Ministerien zukommen lassen. Damit haben am Ende des Jahres 2006 8 von 16 Bundesländer Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet.
Eine positive Antwort auf dieses Schreiben kann deshalb das Staatsministerium auf Bürger- und Menschenrechte der zivilisierten Welt und die Zukunft vorbereiten. Für einen entschlossenen Bürger im europäischen Raum der Freiheit ist nicht nachvollziehbar warum das nicht gelten soll, da ja auch § 29 des Verwaltungsgesetzes die Akteneinsicht sichert.
Selbst wenn normalerweise Stellungnahmen der Regierung an den Petitionsausschuss geheim bleiben ist nicht einzusehen, warum das auch für eine Stellungnahme, die die Informationsfreiheit betrifft so sein muss.
Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft", was ich bei der Frage der Einsichtsgewährung bitte zu berücksichtigen. Artikel 46 der Konvention für Menschenrechte lautet ""Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen." Damit ist das Menschenrecht des Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung auch in Deutschland juristisch durchsetzbar.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Keim
Informationsfreiheitsgesetz ohne Wenn und Aber: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-anhoerung-he.htm
Kopie: Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), Kopien an 8 Bundesländer ohne Informationsfreiheitsgesetze
Anlage:
Entwicklung:
Antworten:
[Informationsfreiheit] [Zurück zu allen Petitionen] [Verwaltungsstreitsache] [Menschenrechtsverletzungen in Deutschland] [Zur Homepage]
Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.