„Zugang zu
            Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht, das
            auf nationaler Ebene durch eine umfassende Gesetzgebung
            gewährleistet sein muss, die auf dem Prinzip der größtmöglichen
            Offenlegung basiert".
      UN, OSZE und OAS Sonderbeauftragte für den
          Schutz der Meinungsfreiheit 2004
    
in
        English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-5-laender-en.htm
        
Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
      Almbergskleiva 64 
      NO-6657 Rindal,
      den 7.5.2013
    
    
Innenministerium
      des Landes Baden-Württemberg 
      Postfach 102443 
      D-70020 Stuttgart
 Kopie: Innenminister
        Gall, Ministerpräsident Kretschmann
      
      Betreff: Akteneinsicht Stellungnahme über
        Verzögerung der Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes: 5,9 Milliarden Menschen haben bessere
        Einsichtsrechte  
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Petition 15/2078 (Anlage 1) in der die Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) für Baden-Württemberg vorgeschlagen wird, wurde am 11.4.2013 (Anlage 2) im Wesentlichen so beantwortet:
"Im Hinblick auf die umfangreichen Vorarbeiten und die weiteren
        Aufgaben aus dem Koalitionsvertrag, die parallel bewältigt werden
        müssen, kann ein konkreter Zeitpunkt für die Umsetzung gegenwärtig noch
        nicht genannt werden."
    
Ich beantrage mir Ihre Stellungnahme des Innenministeriums zur Petition 15/2078 (1) zuzusenden:
Unter berechtigtem Interesse ist dabei jedes verständliche, durch die Sachlage berechtigte schutzwürdige Interesse zu verstehen, das rechtlicher aber auch wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. (Anlage 4)
Nach gewonnener Wahl im Frühjahr 2011 sollten die Bürger
      Baden-Württembergs „schon bald umfassenden Einblick in
      Verwaltungsvorgänge“ bekommen (G).
      Grüne und SPD wollten das im Koalitionsvertrag
      vorgesehene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) „rasch“ auf den Weg bringen.
      Erst sollte die "Evaluation
        des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes
      abgewartet werden, die am 22.5.2012 abgeschlossen wurde. Danach wurde ein
      Entwurf für Ende 2012 angekündigt.
      
      Im Herbst 2012 sollte der Gesetzentwurf noch im Juni 2013, also zwei Jahre
      nach den vollmundigen Ankündigungen, „aller Voraussicht nach“ vorgelegt
      werden. Und der Stand der Angelegenheit? Dazu erfuhr man nichts. „Haben
        Sie bitte Verständnis, dass wir Ihnen über Einzelheiten vorab keine
        Auskünfte erteilen“, erfährt man aus der grünen Landtagsfraktion.
Der Ministerpräsident leitete am 02.04.2013 eine Aufforderung "Mut
        und Wille zum Informationsfreiheitsgesetz um Glaubwürdigkeit zu stärken"
      (5) an das Innenministerium weiter. 
      
Schon seit 15 Jahren hat der UN-Sonderberichterstatters für freie
      Meinungsäußerung (UN Special Rapporteur on the promotion and protection of
      the right to freedom of opinion and expression) den
      Menschenrechtscharakter des Zugangs zu öffentlichen Dokumenten betont z.
      B. im Bericht E/CN.4/1998/40
      vom 28 Januar 1998, der UN,
        OSCE and AOS Joint Declaration vom 26. November 1999, dem Bericht E/CN.4/2000/63
      vom 18 Januar 2000, der Gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004 der drei
          Sonderbeauftragten (UN, OSCE und AOS) für den Schutz der
          Meinungsfreiheit und dem Bericht A/HRC/14/23
      vom 20 April 2010. 
    
In den letzten 50 Jahren haben 59
        Staaten den Zugang zu amtlichen Dokumenten in ihren Verfassungen
      verankert. Die höchsten Gerichte in Japan (1969),
      Indien (1975),
      Kanada (1989),
      Süd Korea (1989),
      Israel (1990)
      und Frankreich (2013)
      haben den Zugang zu amtlichen Dokumenten aus der Verfassung oft aus der
      Meinungsfreiheit hergeleitet. Die Open
        Government Partnership umfasst umfangreiche Transparenz- und Open
      Data Verpflichtungen. 57 Staaten sind beigetreten.  
    
Der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung ist nun ein
      anerkanntes Menschenrecht gemäß Zivilpakt [6,
      9, 10, 13] und der Rechtsprechung
      des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [11]
      aufgrund der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EKMR) [7],
      wird international als Voraussetzung für die Demokratie angesehen und ist
      wichtig im Kampf gegen Korruption [12].
      
      In den Berichten
        der UNESCO zum  Universelle Periodische Überprüfung (Universal
      Periodic Review) beim Menschenrechtsrat am 25.4.2013 werden
      Informationsfreiheitsgesetze z. B. für Deutschland  erwähnt.
      Österreich empfahl Bahrain (A/HRC/WG.6/13/L.4):
      "Enact a progressive, substantive Freedom of Information law". Auch Djibouti,
      Ghana
      empfingen diese Empfehlung.
125 Staaten (https://www.rti-rating.org/country-data/) mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern, d. h. 84% der Weltbevölkerung haben entweder Informationsfreiheitsgesetze oder entsprechende Verfassungsbestimmungen und damit bessere generelle Einsichtsrechte (über den Anwendungsbereich von Verbraucherinformation und Umweltinformation hinaus) als Baden-Württemberg.
Die Informationsfreiheit (einschließlich des Zugangs zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) ist Teil der Meinungsfreiheit und durch international anerkannte Menschenrechte d. h. Artikel 19 des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt, BGBl. 1973 II S. 1534) und Artikel 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (BGBl. 1952 Teil II S. 685) geschützt, der nach Art. 59 (2) GG in ein Bundesgesetz transformiert wurden (Anlage B).
Der deutsche Rechtsanwender ist über Art. 20 Abs. 3 GG
        („die Rechtsprechung ist an Gesetz und Recht gebunden“) an die
        transformierten Vorschriften des Völkerrechts gebunden. Aus der
        Vorschrift folgt auch die Pflicht, sich mit Inhalt und Auslegung dieser
        Vorschriften vertraut zu machen. Gemäß Art. 19
        Abs. 4 GG steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen
        Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dies gilt nicht nur für
        Verletzungen der Grundrechte, sondern für alle in der deutschen
        Rechtsordnung geschützten Rechte. Somit erfasst die Rechtsweggarantie
        des Art. 19 Abs. 4 GG auch Fälle, in denen der Staat unmittelbar
        wirksame internationale Menschenrechtsnormen verletzt, die gemäß Art. 59
        Abs. 2 bzw. Art. 25 GG Bestandteil des innerstaatlichen Rechts
        sind. 
      
Artikel 10 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte schützt die Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit (11). Folgende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Zugang zu amtlichen Dokumenten liegen vor:
Dies erstreckt sich nach der Entscheidung BVerfG 2 BvR 1481/04 des Verfassungsgerichtes (Punkt 3) auf alle staatlichen Organe: "Die Bindungswirkung einer Entscheidung des EGMR erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen." Dabei sind nicht nur einzelne Urteile, sondern die Rechtsprechung des EGMR einzubeziehen: "Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des EGMR einschlägig, so sind grundsätzlich die vom Gerichtshof in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung, namentlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen."
Die UN-Menschenrechtsverträge sind 2011 und 2012 durch die
        Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestärkt worden. Danach
        sind auch die UN Menschenrechtsverträge zur Auslegung der
        verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte heranzuziehen, siehe
        BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011, 2
          BvR 882/09, und BVerfG, Urteil vom 18.7.2012, 1
          BvL 10/10, 2 BvL 2/11. Nach der Rechtsprechung des
        Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit
        des Grundgesetzes, dass das innerstaatliche Recht einschließlich seiner
        Verfassungsbestimmungen grundsätzlich völkerrechtskonform auszulegen
        ist.
      
Die UN, OSZE und AOS Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit bestätigen in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004, dass der Zugang zu amtlichen Informationen ein Menschenrecht ist: (Anlage 8):
„Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht, das auf nationaler Ebene durch eine umfassende Gesetzgebung gewährleistet sein muss, die auf dem Prinzip der größtmöglichen Offenlegung basiert."
Dies wird auch im "General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR" (Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Zivilpakt) bestätigt (Anlage 9):
Die Antworten Baden-Württembergs werden für einen Brief an den Menschenrechtskommissar gebraucht, der die Behandlung seiner Vorschläge betrifft (Anlage E).
Die Bundesregierung hat dem Menschenrechtskommissar versichert, dass der Rang des EMRK berücksichtigt wird (Anlage A). Verweigerte Akteneinsicht würde dokumentieren, dass das nicht stimmt. Der Menschenrechtskommissar hat mit Bedauern festgestellt, dass Menschenrechte nicht im Kernbereich der Juristenausbildung vertreten ist. Deshalb wurde vorgeschlagen, Verwaltung und Richter in Menschenrechten zu schulen.125 Staaten (https://www.rti-rating.org/country-data/) mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern haben entweder Informationsfreiheitsgesetze oder Verfassungsbestimmungen. Damit ist diese Menschenrecht in mehr als die Hälfte der Staaten und fast allen zivilisierten Staaten in der Welt realisiert das gemäß Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des Bundesrechts ist. "Die Entstehung von universellem Völkergewohnheitsrecht erfordert zwar nicht, daß einem Völkerrechtssatz ausnahmslos alle Staaten ausdrücklich oder durch konkludente Handlung zugestimmt haben. Dieses Völkergewohnheitsrecht muß aber auf einer allgemeinen, gefestigten Übung zahlreicher Staaten beruhen, der die Rechtsüberzeugung zugrunde liegt, daß dieses Verhalten Rechtens sei" (vgl. BVerfGE 92, 277 <320> und BVerfGE 66, 39 [64 f.]; 68, 1 [83], vgl. International Court of Justice, Reports 1969, S. 41 ff. - Festlandsockel-Fall; BVerfGE 46, 342 [367] m. w. N.).
Während sich in entwickelten und zivilisierten Ländern weltweit also die Informationsfreiheit durchgesetzt hat, ist in Deutschland das Verhältnis zwischen Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit im Wandel begriffen. In 11 Bundesländern gilt der allgemeine Aktenzugang durch ein Informationsfreiheitsgesetz. In 5 Bundesländern fehlt ein IFG.
Die rechtliche Lage bezüglich der Informationsfreiheit vor der Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen gestaltete sich so:
Die Informationsfreiheit (Rezipientenfreiheit) ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert (Art.5 Abs.1 S.1, 2.Hs GG).
"Allgemein zugänglich" sind dabei solche Informationsquellen, die technisch geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71 - Leipziger Volkszeitung).
BVerfGE 103, 44 (61): "Legt der Gesetzgeber die Art der Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet." Beispielsweise normiert § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit.
Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und von 11 Bundesländern schafft einen solches "Jedermannsrecht" auf voraussetzungslosen Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung.
Die Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen bedeutet einen Paradigmenwechsel aus dem folgende neue Situation (aus Anlage F: Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit) entsteht:
"Wie bereits dargelegt begründet das Grundrecht auf Informationsfreiheit für sich genommen keinen Informationszugangsanspruch. Nur i. V. m. zusätzlichen rechtlichen Verpflichtungen amtlicher Stellen, Zugang zu bestimmten Informationsquellen zu gewähren, werden diese Informationsquellen zu allgemein zugänglichen Quellen i. S. d. Art. 5 I 1, 2. Hs. GG. Verpflichtungen dieser Art sind insbesondere als gesetzliche Konkretisierungen des Rechtsstaats- oder des Demokratieprinzips denkbar (Vgl. BVerfGE 103, 44 (63 f.)). Als eine ebensolche Ausformung ist die Verpflichtung zur Informationszugangsgewährung nach dem IFG anzusehen, womit eine Verwehrung des Informationszugangsrechts durch eine verpflichtete Stelle als Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit zu qualifizieren wäre" (Vgl. BVerfGE 103, 44 (61).).
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Resultat: "Das IFG bedeutet die Abkehr vom alten und morschen Grundsatz des allg. Amtsgeheimnisses, das in Zeiten von Volksherrschaft und Informationsgesellschaft einen krassen Anachronismus darstellte. Die Informations(zugangs-) freiheit ist die Grundlage der demokratischen Meinungsbildung und das notwendige Gegenstück zur Meinungsfreiheit sowie zum Datenschutz".
Quelle: Zitiert aus Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit (Anlage F).
Nachdem das IFG im Bund am 1.1.06 in Kraft trat verabschiedeten Hamburg (29.3.06), Bremen (11.5.06) und Mecklenburg-Vorpommern (27.6.06, Drucksache 4/2117) und das Saarland (12.7.06, Drucksache 13/758), Thüringen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz Informationsfreiheitsgesetze. Damit haben 11 Bundesländer Informationsfreiheitsgesetze.
In Bundesländern ohne Informationsfreiheitsgesetz ist Informationszugangsgewährung nach Zivilpakt und der Rechtsprechung des EGMR als Verpflichtung anzusehen, die Dokumente der öffentlichen Verwaltung "Allgemein zugänglich" macht.
Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft", was ich bei der Frage der Einsichtsgewährung bitte zu berücksichtigen. Ich hoffe Baden-Württemberg bietet die Gewähr dafür sich jederzeit für die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte einzusetzen. Artikel 46 der Konvention für Menschenrechte lautet "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen." Damit ist das Menschenrecht des Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung auch in Deutschland juristisch durchsetzbar.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Keim
    
Kopie: Landespressekonferenz, Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), 4 Bundesländer ohne Informationsfreiheitsgesetze, Fraktionen Landtag Baden-Württemberg
Anlagen:
Antworten:
Entwicklung:
    
      
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Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.